Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
zwischen uns. Wir haben gut aufgepasst, dass wir dich nicht erdrücken, wir rückten voneinander ab, um dir mehr Platz zu lassen, und trotzdem waren wir einander nie so nah. In jener Nacht habe ich erkannt, was ›glücklich sein‹ wirklich bedeutet.«
»So schön war das?«, fragte Alexandre.
»Ich habe mir gewünscht, diese Nacht würde niemals enden …«
»Soll das heißen, dass du nie wieder so glücklich sein wirst wie damals …«
»Das soll heißen, ich werde auf andere Weise glücklich sein … aber dieses Glück wird für immer der Gipfel allen Glücks bleiben …«
»Ich bin froh, dass ich ein Teil davon bin, auch wenn ich mich nicht mehr daran erinnern kann …«
»Vielleicht erinnerst du dich ja daran und weißt es nur nicht … Und was ist mit dir?«, fragte Philippe, mutig geworden. »Was war dein größtes Glück?«
Alexandre dachte nach. Er kaute auf seinem Hemdkragen herum. Das hatte er sich in letzter Zeit angewöhnt.
»Es gab mehrere, und sie waren alle völlig unterschiedlich …«
»Das letzte, zum Beispiel?«
»Das war, als ich Annabelle auf dem Heimweg von der Schule an der Ampel geküsst habe … Es war mein erster richtiger Kuss, und ich glaube, da habe ich mich auch wie der König der Welt gefühlt …«
Philippe sagte nichts. Er wartete darauf, dass Alexandre ihm verriet, wer Annabelle war.
»Als ich Phoebe geküsst habe, war das Gefühl nicht so intensiv, und mit Kris war es schön, aber noch anders … Glaubst du, mit meiner Spange werde ich noch küssen können? Wird dieser Eisenschrott an meinen Zähnen nicht stören?«
»Sie wird dich küssen für deine Art, ihr zuzuhören, sie anzuschauen, ihr Geschichten zu erzählen, wegen tausend anderer Dinge, die sie in dir sieht … und von denen du womöglich selbst nichts weißt …«
»Aha …«, entgegnete Alexandre verwirrt.
Er schwieg. Die Antwort seines Vaters hatte in seinem Kopf tausend Fragen aufgeworfen.
Philippe dachte bei sich, dass er noch nie ein so langes, intimes Gespräch mit seinem Sohn geführt hatte, und er war glücklich. Ein bisschen so wie damals, auf der Matratze im Krankenhaus, als er für eine Nacht der König der Welt gewesen war.
Hortense Cortès hasste sich.
Am liebsten hätte sie sich geohrfeigt, sich selbst an den Pranger gestellt, nie wieder mit sich geredet. Sich totgelacht über eine selten dämliche Nuss namens … Hortense Cortès.
Sie hatte die Chance ihres Lebens vermasselt.
Und das war ganz allein ihre Schuld.
Nicholas hatte sie nach Paris zur Modenschau von Chanel mitgenommen. Chanel, hatte sie gekreischt. Ist das dein Ernst? Chanel? Karl Lagerfeld live auf der Bühne?
»Und die Gelegenheit, Anna Wintour zu treffen«, hatte Nicholas hinzugefügt und seine rosa und grapefruitfarbene Krawatte glatt gestrichen. »Ich bin zum Aftershow-Empfang eingeladen, und du kommst mit …«
»Oh! Nicholas …«, hatte Hortense gestammelt. »Nicholas, Nicholas … Wie soll ich dir jemals danken?«
»Dank mir nicht. Ich protegiere dich, weil ich weiß, dass aus dir etwas werden kann, und früher oder später wird sich das für mich auszahlen …«
»Lügner! Du machst das, weil du bis über beide Ohren in mich verliebt bist!«
»Sagte ich doch …«
Um sieben Uhr zwölf nahmen sie den Eurostar nach Paris. Sie waren um fünf Uhr aufgestanden, um noch einmal kritisch zu prüfen, was sie anziehen wollten, und sich dem Anlass würdig zu erweisen. An der Gare du Nord sprangen sie in ein Taxi. Schnell! Schnell! Zum Grand Palais!
Ein Auge immer auf den Spiegel ihres blauen Shiseido-Puderdöschens gerichtet, fragte Hortense Nicholas zehnmal, wie sehe ich aus? Wie sehe ich aus?
Und zehnmal antwortete er: Hinreißend, einfach hinreißend …
Sie fragte ihn ein elftes Mal.
Am Eingang des Grand Palais zeigten sie ihre Einladung vor.
Reihten sich in die Schlange ein, nahmen im großen Saal unter dem hohen Glasdach ihre Plätze ein und drehten den Kopf in sämtliche Richtungen, damit ihnen nur ja keine Einzelheit der Dekoration, keine einzige der anwesenden Berühmtheiten entging. Es waren so viele, dass Hortense den Versuch aufgab, sie alle zu erkennen. Die Modenschau war überwältigend. Die Dekoration stellte das Geschäft in der Rue Cambon dar, auf die Größe eines Musikpavillons geschrumpft. An den Wänden des Pavillons hingen riesige Nachbildungen von gesteppten Handtaschen, Knöpfen, Schleifen, Chanel-Hüten und Perlenketten. Alles in elegantem Weiß; makellos defilierten die Models auf dem
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