Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
schließen müssen, es sei denn …
Und wieder sieht sich Marcel Grobz mit der Frage konfrontiert, welches neue Produkt die Verkaufszahlen ankurbeln könnte. In den Blicken der Finanziers erkennt er die Sorge angesichts der sich abzeichnenden Rezession, und er weiß nicht, was er ihnen antworten soll.
Neunzehn Uhr. Rückkehr in die Avenue Niel, wo er noch einmal in Ruhe über die Probleme dieses und des kommenden Tages nachdenkt. Die Entwicklung des E-Business, die zunehmende Bedeutung des Internets, der wachsende Hunger der Kunden nach Onlinekäufen. Abarbeiten der Unterschriftenmappe. Er ist allein. Ein grelles Licht fällt auf die Schreibtischoberfläche. Er fährt mit einem Finger über die Tischplatte, schaut ihn an und wischt ihn an seinem Ärmel ab. Er stützt das Kinn in eine Hand und starrt in den Spiegel gegenüber. Sieht einen korpulenten Mann mit schief sitzender Krawatte, zwei offenen Hemdknöpfen, einem über den Hosenbund quellenden Bauch, dicken Händen und einem roten Haarkranz, der sich um eine rosa Glatze zieht. Denkt nach. Lehnt sich in seinem Stuhl zurück, streckt sich. Sagt sich, dass er unbedingt ein bisschen Sport treiben müsste, abnehmen … Und dass er eine rechte Hand braucht. Er schafft die Arbeit nicht mehr allein. Er wird zu alt, hat nicht mehr genug Kraft.
Einundzwanzig Uhr. Marcel Grobz verlässt sein Büro und geht nach Hause.
Wieder ein Tag vergangen, ohne dass ich es gemerkt habe, sagt er sich mit einem Blick auf die Uhr. Und morgen geht es genauso weiter …
Er ist müde. Er fragt sich, wie lange er dieses Tempo noch durchhalten kann.
Er steigt keine Treppen mehr.
Er benutzt den Aufzug.
Der Brief war am Morgen mit der Post gekommen. Iphigénie hatte den Schriftzug des Hausverwalters erkannt und den Umschlag auf den Küchentisch gelegt. Sie bekam keine Luft mehr, hielt sich die Seite, und ihre Beine versagten ihr den Dienst. Sie fühlte sich, als wäre eine Herde Wildpferde über sie hinweggetrampelt.
Sie wartete die Mittagspause ab, briet Würstchen und wärmte das Kartoffelpüree für Clara und Léo auf. Sie kamen zum Mittagessen nach Hause. Das war billiger als die Schulkantine.
Sie öffnete den Brief so hastig, dass sie ihn fast zerriss.
Sie las ihn einmal, dann ein zweites Mal.
Die Herde Wildpferde trampelte erneut über ihren Körper hinweg.
Sie musste aus ihrer Loge ausziehen. Sie hatte drei Monate, um eine neue Stelle zu finden, denn der Podologe hatte sie nicht eingestellt. Und ein neues Zuhause. Um sie herum begann sich alles zu drehen.
Clara und Léo hörten auf, Eisenbahnschienen in das Püree zu zeichnen und fragten: »Was ist denn los, Maman?«
»Nichts, nichts …«
»Warum hast du dann Tränen in den Augen?«
Mylène Corbier reichte dem Zollbeamten in Roissy ihren Reisepass.
»Willkommen in Paris«, sagte der Zöllner und sah zu der hübschen Blondine auf, die sich hinter einer großen Sonnenbrille versteckte.
Sie wiegte den Kopf hin und her.
»Würden Sie bitte die Brille abnehmen?«
Sie gehorchte. Ihr rechtes Auge glich einer roten Rübe.
»Haben Sie die Tragfläche ins Auge bekommen?«, fragte er.
Sie seufzte.
»Schön wär’s …«
Eine letzte Erinnerung an Mister Wei. Besser gesagt, an seinen Bodyguard. Er hatte sie zum Flughafen gefahren, um sicherzugehen, dass sie allein flog und nichts mitnahm. Sie hätte ja einen Koffer in einem Schließfach verstecken können. Bevor sie durch den Zoll ging, hatte er ihre Handtasche durchsuchen wollen. Sie hatte sich geweigert, denn in gebrauchten Papiertaschentüchern hatte sie ihre Diamantarmbänder und den Schmuck von Chaumet versteckt. Er hatte sie geschüttelt. Sie hatte sich gewehrt, war gestolpert und war gegen ein Metallgeländer geprallt. Er hatte die Schultern gezuckt und war gegangen, um kein Aufsehen zu erregen.
Sie hatte den Flug um dreizehn Uhr vierzig genommen, der um siebzehn Uhr vierzig in Roissy ankam. Elf Stunden Flugzeit. Elf Stunden, um ihr Scheitern Revue passieren zu lassen. Am Flugschalter in Shanghai hatte sich die Angestellte gewundert, dass sie ohne Gepäck flog. Die Angehörigen französischer Reisegruppen, die nach Hause zurückflogen, zeigten einander Fotos auf ihren Handys. Das Reinigungspersonal fegte diskret das kleinste Papierchen vom dem Boden weg. Terminal 2 blitzte vor Sauberkeit. Hier könnte man vom Boden essen, sagte sie sich und registrierte jedes Detail. Sie würde nie wieder zurückkommen. Ihre schöne Wohnung würde leer bleiben. Ihre Möbel würden
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