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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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lauschte. Er hatte sie aufgefordert, ganz besonders auf die rechte Hand zu achten, die Sopran spielte wie eine Stimme, die sich mühelos in die Höhe schwang, und auf den starken, kraftvollen Bass der linken Hand. Plötzlich unterbrach sie Chopin, um ihm zu erzählen, dass es 1787 nur dreizehn konföderierte Staaten und drei Millionen Amerikaner gegeben hatte. Das ist sehr wenig, verglichen mit den europäischen Ländern zum Beispiel …
    Empört beschloss er, sie nie mehr wiederzusehen.
    Er fand, Glenn Gould habe definitiv recht gehabt, als er behauptete: »Ich weiß nicht, wie das genaue Verhältnis tatsächlich aussieht, aber ich habe immer das intuitive Gefühl gehabt, dass man für jede Stunde, die man gemeinsam mit anderen Menschen zubringt, X Stunden allein sein muss. Wofür dieses X nun steht, weiß ich nicht; das können Zweisieben achtel Stunden oder Siebenzweiachtel Stunden sein, aber es ist ein beträchtliches Verhältnis.«
    Er würde damit aufhören, eine beträchtliche Menge an Zeit zu verlieren.
    Joséphine öffnete die Glastür und trat hinaus auf den Balkon. Die Nacht war klar, hell erleuchtet von einem Mond, der so hübsch zu lächeln schien wie ein glückliches Mädchen. Der Mond lächelt oft, wenn er auf die Erde herabschaut. Man könnte meinen, er verspotte uns, wenn wir ihm nicht jene gelassene Gutmütigkeit zubilligten.
    Sie musste zu den Sternen aufschauen und mit ihrem Vater reden. Tagsüber hatte sie in Le Monde einen Artikel über Patti Smith gelesen. Sie war über einen Satz von Pasolini gestolpert, den die Sängerin zitiert hatte: »Es ist nicht so, dass die Toten nicht redeten, wir sind es bloß nicht mehr gewöhnt, ihnen zuzuhören.« Patti Smith ging auf Friedhöfen spazieren und redete mit den Toten. Joséphine hatte die Zeitung sinken lassen und sich gesagt, dass sie es nicht mehr gewöhnt war, mit ihrem Vater zu reden.
    Am selben Abend nahm sie ihr Federbett und setzte sich hinaus auf den Balkon, begleitet von Du Guesclin, der ihr nie von der Seite wich. Wohin sie auch ging, er folgte ihr. Er wartete auf sie vor der Toilettentür, vor der Badezimmertür, und wenn sie sich bewegte, um ein Fenster zu öffnen oder zu schließen, das Radio ein- oder auszuschalten, die Falte eines Vorhangs zu richten oder den Kühlschrank auszuwaschen, blieb er stets an ihrer Seite. Wahrscheinlich befürchtete er, sie könne ihn allein zurücklassen, und folgte ihr deshalb auf Schritt und Tritt.
    »Soll ich dir was sagen, mein Dicker? Du wirst allmählich die reinste Klette …«
    Er schaute sie mit so viel Liebe im Blick an, dass sie sofort bereute, ihn eine Klette genannt zu haben, und seine Ohren rubbelte. Er stöhnte auf, und sie entschuldigte sich. Sie hatte seine Ohrenentzündung vergessen. Die Entzündung hatte von einem Ohr auf das andere übergegriffen, und sie pflegte ihn unentwegt, reinigte die entzündete Ohrmuschel, gab Tropfen hinein und hielt ihn mit beiden Armen fest, damit er stillsaß und die Medizin in den Gehörgang rinnen konnte.
    Am dunklen Himmel funkelten tausend Sterne, als unterhielten sie sich miteinander. Es war ein ohrenbetäubender Lichterlärm. Sie entdeckte den Großen Wagen, konzentrierte sich auf den letzten kleinen Stern am Ende der Deichsel und rief ihren Vater.
    Sie musste immer eine Weile warten, bevor er antwortete …
    Und das tat er, indem er kleine Blitze aussandte.
    Sie dankte ihm dafür, dass er ihr das Tagebuch des Kleinen Mannes geschickt hatte.
    »Ich habe etwas begriffen … Etwas Wichtiges … Erinnerst du dich an den Tag am Atlantik? Jenen Tag, als du mich hochgehoben, mich ganz fest an dich gedrückt und Henriette eine Kriminelle genannt hast? Ich habe begriffen, dass ich es an diesem Tag ganz allein aus dem Wasser herausgeschafft habe. Ganz allein, Papa … Niemand hat mir dabei geholfen, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen … Und auch danach bin ich mein Leben lang allein aus den tosenden Wellen herausgekommen. Aber das wusste ich nicht … Kannst du dir das vorstellen? Ich maß dem, was ich tat, überhaupt keine Bedeutung bei … Also konnte ich auch nicht stolz auf mich sein, mich trösten, Selbstvertrauen gewinnen …«
    Sie glaubte zu sehen, wie der kleine Stern aufleuchtete und wieder verlosch. Lange Blitze, kurze Blitze, wie eine Botschaft in Morsezeichen.
    »Jetzt habe ich nicht mehr so viel Angst … Weißt du noch, wie viel Angst ich hatte, als ich plötzlich mit Hortense und Zoé in der Wohnung in Courbevoie saß, ohne Geld,

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