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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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Umhang, vergammelte Handschuhe, schwarze Wollsocken mit Löchern, durch die man eine vergammelte Haut erkennen konnte, und eine Art Mütze, die sie tief in die Stirn gezogen hatte.
    Von dort, wo er stand, konnte er die Farbe ihrer Augen nicht erkennen. Aber eines wusste er ganz genau: Das war eine Obdachlose.
    Seine Mutter hatte Angst vor Obdachlosen gehabt. Sie überquerte die Straße, um ihnen auszuweichen, nahm ihn bei der Hand, und ihre Hand zitterte in der seinen. Er fragte sich, wieso. Sie wirkten doch gar nicht böse.
    Seine Mutter. Sie interessierte sich nur für ihn, wenn sie eine Lücke in ihrem Zeitplan hatte. Sie wandte sich ihm zu, als fiele ihr plötzlich wieder ein, dass es ihn gab. Sie rubbelte ihn ab, wiederholte immer wieder, mein Liebling, mein Liebling, du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich liebe! Weißt du das, mein süßer kleiner Schatz?, als müsste sie sich selbst davon überzeugen. Er antwortete nicht. Schon als kleines Kind hatte er gelernt, dass er diesen Gefühlsüberschwang nicht erwidern durfte, denn sie würde ihn genauso schnell wieder fallen lassen, wie sie sich ihm zugewandt hatte. Wie einen Regenschirm. Er hegte Sympathie für diese Regenschirme, die immer und überall vergessen werden.
    Die einzigen Momente, in denen seine Mutter aufrichtig wirkte, in denen sie nicht die wundervolle Iris Dupin spielte, waren, wenn sie einen Bettler auf der Straße erblickte. Dann beschleunigte sie ihre Schritte, sagte, nein, nein, schau nicht hin! Und wenn er fragte, warum sie denn so schnell vorbeigegangen sei, warum sie Angst habe, kniete sie nieder, nahm sein Kinn in die Hand und sagte, nein, nein, ich habe keine Angst, aber sie sind so hässlich, so schmutzig, so arm …
    Sie zog ihn an sich, und er hörte ihr Herz schlagen wie verrückt.
    An diesem Abend ging er an der Obdachlosen vorbei, ohne sie anzusehen oder gar stehen zu bleiben. Im Vorbeigehen bemerkte er lediglich, dass sie einen Rollstuhl hinter sich herzog, den sie an ihrer Taille festgebunden hatte.
    Am nächsten Tag sah er sie wieder. Sie hatte ihr weißes, gewelltes Haar zurechtgemacht und auf beiden Seiten eine Spange hineingesteckt. Kleinmädchenspangen, ein blauer und ein rosafarbener Delfin. Sie saß in dem Rollstuhl, und ihre unglaublich schmutzigen, fast schwarzen Hände in den bunten Handschuhen lagen brav in ihrem Schoß. Sie sah zu, wie die Leute vorbeigingen, schaute ihnen nach und verdrehte dabei den Kopf, als wollte sie sich nichts von ihrem Anblick entgehen lassen. Sie lächelte still und hielt ihre faltigen Wangen einem Sonnenstrahl entgegen.
    Er ging an ihr vorbei und spürte, dass sie ihn aufmerksam musterte.
    Tags darauf war sie immer noch da, sie saß in ihrem Rollstuhl, und er ging ein wenig langsamer an ihr vorbei. Sie lächelte ihm freundlich zu, und er hatte gerade noch Zeit, ihr Lächeln zu erwidern, ehe er davonrannte.
    Wieder einen Tag später ging er auf sie zu. Er hatte zwei Fünfzigpencemünzen vorbereitet, um sie ihr zu geben. Er wollte ihre Augen sehen. Das war wie eine fixe Idee, die ihn morgens gepackt hatte: Was, wenn sie blaue Augen hatte? Große, blaue Augen, flüssig wie die Tinte in einem Tintenfass.
    Er ging auf sie zu. Blieb ein Stück von ihr entfernt stehen. Nickte. Stumm.
    Sie betrachtete ihn lächelnd. Ohne sich zu rühren.
    Er ging noch näher heran und warf die Münzen in ihren Schoß, wobei er darauf achtete, richtig zu zielen. Sie senkte den Blick auf die Münzen hinab, berührte sie mit ihren schwarzen Fingern mit den gesplissten Nägeln, legte sie in eine kleine, unter ihrem rechten Arm verborgene Dose und schaute ihn an.
    Alexandre trat einen Schritt zurück.
    Sie hatte zwei große blaue Augen. Zwei große Gletscherseen wie auf den Bildern in seinem Erdkundebuch.
    »Hast du Angst vor mir, luv ?«
    Sie meinte love , aber sie sprach es luv aus, genau wie der Zeitungshändler neben ihrem Haus.
    »Ein bisschen …«
    Er hatte keine Lust, sie anzulügen. Das Großmaul zu spielen.
    »Dabei habe ich dir doch gar nichts getan, luv .«
    »Ich weiß …«
    »Aber du hast trotzdem Angst vor mir … Das liegt daran, dass ich so schlecht angezogen bin …«
    Die blauen Augen wirkten belustigt. Sie nahm etwas Tabak aus einer anderen Metalldose, die sie unter ihrem Arm versteckt hatte, und begann sich eine Zigarette zu drehen.
    »Rauchst du, luv ?«
    Sie leckte das Zigarettenpapier an, ohne ihn aus den Augen zu lassen.
    Sie waren blau, ihre Augen, aber auch verwaschen. Als wären es

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