Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
erbärmlich behandelt. Sie war so eine wunderbare Frau, ich meine, sie hatte eine so schöne Seele …«
»Man spürt, dass Sie beide einander sehr nahestanden …«
»Das Wetter war schön an jenem Morgen, so schön wie immer in Kalifornien, wenn man den dichten Nebel am Horizont ignoriert. Wir haben lange gewartet, wir müssen so etwa zu zehnt gewesen sein. Irgendwann kam ein junger Mann angefahren, er hat gehupt, als müsste man ihm sofort aufmachen, als könnte er es nicht ertragen, zu warten. Er ist aus dem Wagen gestiegen und hat am Tor Sturm geläutet. Doch das Tor öffnete sich nicht. Der Butler musste beschäftigt sein … Also hat er geparkt und gewartet, genau wie wir. Ich dachte, er gäbe bloß vor, ein Bekannter von ihm zu sein, um vor uns dranzukommen, also bin ich näher ans Tor herangegangen, um ganz vorn zu stehen …«
Er war wieder zu dem jungen Mann geworden, der vor dem Anwesen von Cary Grant ungeduldig von einem Fuß auf den anderen trat. Seine Züge waren entspannt, er lächelte, hielt das Gesicht in die kalifornische Sonne.
»Nach etwa einer Stunde kam Cary herausgefahren. In einem schönen mandelgrünen Cabriolet mit silbernen Heckflossen und roten Lederbezügen. Damals baute man noch schöne Autos, es muss in den Siebzigern gewesen sein, 1972, glaube ich … Er winkte, sehr freundlich, muss ich sagen, hat uns zugelächelt, ein strahlendes, schönes Lächeln mit seinem Grübchen im Kinn und seinen warmen, sanften, guten Augen … Ich stand da, ich hatte mich ein Stückchen von Geneviève entfernt. Ich wollte, dass er mich ganz allein sähe, ich glaube, ich dachte sogar, es gäbe vielleicht eine Chance, dass er …«
»…«
»Dass er sagte, Hello, my boy! Was machst du denn hier? Was ist aus dir geworden? Komm mit … Und ich wäre ihm gefolgt! Ich hätte nicht eine Sekunde gezögert! Ich hätte Geneviève stehen lassen und wäre mit ihm gegangen! Das war mein Wunschtraum. Also habe ich so getan, als wäre ich nicht mit ihr zusammen da. Ich bin vorgetreten, er hat mich angeschaut, er hat gewinkt, er hat gesagt, Hello, my boy, was machst du denn da? Und ich glaubte, in Ohnmacht zu fallen … Ich sagte, Cary, Sie erkennen mich wieder, Sie wissen noch, wer ich bin? Ich hatte ihn zehn Jahre nicht gesehen! Und er erkannte mich wieder! Ich war völlig benommen, meine Füße schienen am Boden festgenagelt zu sein. Es dauerte ein paar Sekunden, aber für mich war es ein Jahr, zwei Jahre, zehn Jahre. Im Bruchteil einer Sekunde habe ich mein ganzes Leben vor mir gesehen, ich sagte mir, ich verlasse Paris, ich verlasse die Charbonnages de France, ich verlasse Geneviève, ich lasse das alles zurück und komme her, um bei ihm zu leben. Ich habe über die Mauer hinweg sein Anwesen gesehen, und ich dachte, das ist also mein neues Zuhause, das ist mein neues Leben, dieses Dachstück muss ausgebessert werden, da fehlt ein Ziegel … Ich war glücklich, so glücklich, es kam mir vor, als würde mein Herz gleich explodieren, als hätte es nicht mehr genug Platz in meiner Brust … Und da trat der ungeduldige junge Mann vor, Cary stieg aus dem Wagen, nahm ihn beim Arm, sagte, Come on, my boy! und noch andere Dinge, so etwas wie: Was machst du denn hier? Hat man dir nicht geöffnet? Baldini muss beschäftigt gewesen sein, wir haben ein Problem mit dem Pool … Er hat mich nicht gesehen! Er ist an mir vorbeigegangen, um den Arm des ungeduldigen jungen Mannes zu nehmen … Er hat mich gestreift. Ich habe seinen Ärmel an meinem Arm gespürt … Ich habe den Blick gesenkt, ich wollte ihm nicht in die Augen sehen, ich wollte nicht, dass sein Blick von mir abgleitet. Oder dass er mich mit einem einstudierten Lächeln anlächelt, einem Filmlächeln … Es war grauenvoll. Ich konnte mich nicht mehr hinters Steuer unseres Mietwagens setzen. Geneviève hat uns zurück zum Hotel gefahren. Ich war vollkommen kraftlos. Alle Energie, alles Leben, einfach alles war aus mir gewichen … Während der restlichen Ferien habe ich nur noch im Bett gelegen, ich wollte nichts mehr sehen, nichts mehr essen, nichts mehr unternehmen … Ich glaubte, ich sei tot.«
Ein langes, raues Stöhnen entrang sich seiner Brust, er begann wieder zu husten, zog sein Taschentuch hervor und spuckte hinein. Dann steckte er das Taschentuch wieder zurück.
»Und jetzt werde ich wirklich sterben, aber es ist mir egal, Sie können sich nicht vorstellen, wie egal mir das ist …«
»Nicht doch! Sie werden nicht sterben! Ich werde Ihnen helfen zu
Weitere Kostenlose Bücher