Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Josiane verwundert.
»Ja, Mutter, ich schwöre dir, da war eine Trompete … Und eine Dschellaba!«
»Eine Dschellaba! Gehört er zu Al Kaida?«
»Ich weiß es nicht, Mutter, ich weiß es nicht …«
Er erholte sich allmählich wieder von seinem Schock. Hortense hatte sich geändert, er verzieh ihr ihre Jugendsünde. Hortense war eine unersättliche Eroberin. Chaval war für sie ein Sprungbrett gewesen. Mehr nicht … Mit einem Schlag begriff er, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bevor er sich eine Zukunft mit ihr vorstellen konnte. Und er würde lernen müssen, sich zu schützen. Doch, sagte er sich, das Leben ist wie ein Fahrrad, man muss sich vorwärtsbewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. 11
11 Ein Zitat des großen Albert Einstein.
»Trotzdem …«, murmelte er leise und schaute zu seiner Mutter auf. »Verliebt sein tut weh, Maman. Tut das immer so weh?«
»Das hängt davon ab, auf wen du ein Auge geworfen hast, mein Kind. Hortense kann einem schon Kopfschmerzen bereiten … Aber jetzt musst du sie vergessen und dich ganz auf das Wohl deines Vaters konzentrieren. Was sollen wir tun, Junior? Das alles ist ziemlich verworren …«
Junior saß in seinem Buggy und starrte auf seine Füße. Rieb sie gegeneinander. Ein majestätischer Löwe und ein schmächtiger Tintenfisch. Hortense und Chaval. Der Löwe würde den schmächtigen Tintenfisch fressen. Ihn in einem Happen verschlingen.
»Mit Hortense haben wir eine Trumpfkarte in der Hand. Sie wird Chaval betören und ihn zum Reden bringen … Ihr wird er nicht widerstehen. Er wird ihr seine Pläne gestehen. Wir müssen uns so schnell wie möglich mit ihr in Verbindung setzen. Das Schuljahr ist zu Ende, sie kommt sicher nach Frankreich zurück. Wir werden Kriegsrat halten, und sie wird uns dabei helfen, die Schuldigen zu entlarven. Denn sie sind mindestens zu zweit … Chaval und Henriette. Da bin ich mir inzwischen sicher. Chaval, Henriette … und vielleicht ein Helfershelfer …«
Josiane streichelte seinen Kopf und fuhr mit den Fingern vorsichtig zwischen die zerwühlten roten Locken.
»Was würden wir nur ohne dich machen, mein Kleiner?«
»Mutter, ich bin erschöpft. Ich glaube, ich werde ein Nickerchen machen …«
Er ließ das Kinn auf die himmelblaue Jacke sinken und schlief, vom Geräusch der Buggyräder gewiegt, ein.
Shirley Ward liebte den Regen.
Sie liebte den Londoner Juniregen. Den Regen der frühen Junimorgen, wenn der Tag anbricht, die Blätter an den Bäumen erschauern, die Zweige sich sanft wiegen, das Sonnenlicht sich zwischen die Tropfen schiebt und unter dem zögernden Regen kleine Feuer entzündet. Dann muss man die Augen zusammenkneifen, einen Punkt hinter der Scheibe fixieren, um sicher zu sein, den Regen auch tatsächlich fallen zu sehen, warten, warten, bis man schließlich die beinahe unsichtbaren senkrechten Regenstriche erkennt, und sich sagen, dass die Bürgersteige nass sein werden, dass man einen Regenschirm oder einen Hut mitnehmen muss, wenn man hinausgeht …
Shirley Ward mochte keine Regenschirme. Sie fand sie steif, anmaßend, gefährlich.
Shirley Ward mochte Regenhüte. Sie besaß eine ganze Sammlung davon. Aus Wachstuch, aus Baumwolle, aus Filz, aus gehäkelter Wolle. Sie stapelte sie in einem großen Korb im Eingangsflur und wählte einen davon aus, ehe sie nach draußen ging. Sie knetete ihn lange in den Händen, bevor sie ihn aufsetzte. Zog ein paar blonde Strähnen hervor, damit sie einen Lichtkranz um ihr Gesicht bildeten. Noch einen Hauch Lippenstift, und alles war erledigt. Sie wurde Frau, sie wurde schön. Sie ging mit weit ausgreifenden Schritten durch den Regen, ging durch die Straßen von London, ignorierte rote Ampeln und Passanten. Wenn es aufhörte zu regnen, faltete sie den Hut zusammen, rollte ihn zu einer Kugel, steckte ihn in die Tasche, zerzauste ihr Haar und reckte die Nase in die Sonne.
Es ist besser, Regen und Regenhüte zu lieben, wenn man in London wohnt.
Die sanfte Liebkosung des Regens, die bleiche Wärme der Sonne, den Duft der erschauernden grünen Blätter, die Tropfen, die man mit dem Handrücken wegwischt, die Hand, die man geistesabwesend ableckt und sich dabei fast wundert, dass sie nicht salzig schmeckt … Shirley Ward liebte den Regen, sie liebte Regenhüte, und sie liebte die großen Bäume im Hyde Park. An diesem Morgen würde sie im Park spazieren gehen.
Sie würde ihre Wohnung verlassen.
Seit zehn Tagen war sie schon nicht mehr vor die Tür
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