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Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)

Titel: Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katherine Pancol
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gleich erfrieren wird.
    Sie stand auf, nahm die Stola und schenkte Shirley ein leises, verschwörerisches Lächeln. Ein Lächeln, das bedeutete, schon gut, ich habe verstanden! Ich lasse dich allein!
    »Und geh zur Garderobe vorn beim Parkett«, befahl Shirley, als Joséphine schon auf dem Weg nach draußen war. »Bei den anderen ist immer zu viel los!«
    Joséphine gehorchte und ging zur Garderobe im Erdgeschoss. Gehetzte Männer und Frauen mit roten Lippen drängten sich auf dem Weg in den Saal an ihr vorbei. Sie machte sich ganz schmal und hielt nach der Schlange vor der Garderobe Ausschau.
    Es gab mehrere. Sie entschied sich für eine davon, gab Shirleys Stola ab, nahm den Beleg entgegen, den man ihr reichte, und machte kehrt.
    Mit schleppenden Schritten. Über ihren Mangel an Entschlusskraft und Mut nachsinnend. Warum traue ich mich nicht? Warum? Ich habe Angst vor Iris’ Geist. Ich habe Angst davor, Iris’ Geist zu verletzen …
    Sie blieb kurz stehen, dachte nach.
    Sie hatte weder Tasche noch Mantel dabei. Sie würde in die Loge zurückgehen, Shirley alles erklären müssen …
    Und in diesem Moment …
    Sahen sie einander an der Biegung des Ganges.
    Verblüfft blieben sie stehen.
    Senkten den Kopf, als hätte sie jemand vor die Stirn geschlagen.
    An die Wand gelehnt, mitten in der Geste erstarrt. Er hatte gerade seinen Mantel an der Garderobe abgegeben, sie hatte Shirleys Garderobenschein in die Tasche gesteckt.
    Beide aus der fließenden, leichten Bewegung herausgerissen, die sie noch einen Moment zuvor getragen hatte.
    Reglos standen sie im Schein der Kristalllüster der großen Eingangshalle. Wie zwei Fremde. Zwei Fremde, die sich kennen, aber einander nicht begegnen dürfen.
    Sich einander nicht nähern dürfen. Einander nicht berühren dürfen.
    Sie wussten es. Derselbe vom Verstand diktierte, hundertfach wiederholte Satz kreiste wie ein Blaulicht in ihrem Kopf.
    Und ließ sie wie Schaufensterpuppen wirken, etwas steif, etwas dümmlich, etwas gehemmt.
    Alles, was er in diesem Moment wollte, alles, wonach sie mit stummen Schreien verlangte, war, die Hand auszustecken und den anderen zu berühren.
    Sie standen einander gegenüber.
    Philippe und Joséphine.
    Diesseits und jenseits des Stroms von Menschen, die an der Garderobe anstanden, laut redeten, laut lachten, Kaugummi kauten, im Programmheft blätterten, von dem fantastischen Pianisten sprachen, den Stücken, die er ausgewählt hatte …
    Einander gegenüber.
    Sie sahen einander in die Augen, liebkosten einander, sprachen stumm zueinander, lächelten einander an, erkannten einander, fragten, bist du es? Bist du es wirklich? Wenn du wüsstest … Sie ließen die Männer und Frauen, die Jungen und die weniger Jungen, die Ungeduldigen und die Gelassenen vorbei und standen, atemlos vor Überraschung, zu beiden Seiten des steten Stroms. Das Konzert würde gleich beginnen, schnell, schnell den Mantel abgeben, schnell, schnell den Beleg entgegennehmen, schnell, schnell zu seinem Platz …
    Wenn du wüsstest, wie sehnsüchtig ich auf dich warte, sagte der eine mit glühendem Blick.
    Wenn du wüsstest, wie sehr du mir fehlst, sagte die andere errötend, ohne den Blick zu senken, ohne den Kopf abzuwenden.
    Und ich bin es leid, auf dich zu warten …
    Ich bin es auch leid …
    Sie sprachen miteinander, ohne die Lippen zu bewegen.
    Die Schlange an der Garderobe hatte sich aufgelöst, und das anhaltende Läuten der Glocke verkündete, dass das Konzert gleich beginnen würde. Die Garderobenfrau hängte die letzten Mäntel auf, reichte die letzten Zettel über die Theke, räumte einen Pelz, einen Hut, eine Reisetasche weg, nahm ein Buch, setzte sich auf einen Hocker und wartete auf die erste Pause.
    Die Glocke läutete immer noch, der Saal füllte sich.
    Die letzten Verspäteten hasteten herein, suchten die Platzanweiserin, regten sich auf, fürchteten, die ersten Noten zu verpassen, nicht mehr hineingelassen zu werden. Man hörte Türen sich öffnen und schließen, das Geräusch von Sitzen, die heruntergeklappt wurden, Stimmengewirr, Husten, Räuspern …
    Und dann hörten sie nichts mehr.
    Philippe griff nach Joséphines Hand und zog sie in einen versteckten Winkel des alten Theaters, in dem es nach Staub und Jahrhunderten roch.
    Er presste sie so fest an sich, dass sie beinahe keine Luft mehr bekam, beinahe aufschrie … Sie stöhnte vor Schmerz, doch gleich darauf seufzte sie vor Lust, die Nase an seinen Hals gedrückt, die Arme um seinen Nacken

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