Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
der Nase herumtanzen! Shame on you! Stimmt doch! Sie behandelt mich wie einen kleinen Jungen!, schimpfte er zähneknirschend, während er zum zehnten Mal die Speisekarte durchlas.
Weihnachten rückte näher, und mit den Feiertagen auch sein Gefolge aus Dekorationen, Lichtern, vor den U-Bahn-Ausgängen gesungenen Liedern und Sammelbüchsen in den Händen von Angehörigen der Heilsarmee. Durch das Restaurantfenster beobachtete er das Treiben auf der Straße, während er gleichzeitig nach Hortense Ausschau hielt. Er strich sein Hemd glatt, rückte seinen Krawattenknoten zurecht, schaute zum wiederholten Mal auf seine Uhr, nickte einem Geschäftsfreund zu, der an einem Nebentisch Platz nahm. Wie sieht das denn aus, wie ich hier sitze? Ganz schlecht für mein Image … Dabei hab ich sie längst gevögelt! Diesen Sommer! Mit diesem Mädchen habe ich es komplett falsch angestellt. Bei der muss man die Trauben hoch hängen und sich nicht bücken … Wenn man ihr den kleinen Finger reicht, schneidet sie einem den Schwanz ab.
Er dachte daran, einfach aufzustehen und zu gehen, zögerte, gab ihr noch fünf Minuten und nahm sich fest vor, ihr die kalte Schulter zu zeigen.
Seine Beziehung zu Hortense war kompliziert. Bald schmiegte sie sich mit verführerischer Miene an seine Seite, bald taxierte sie ihn mit kühler Ironie, als wollte sie sagen, wer sind Sie eigentlich, dass Sie sich mir gegenüber solche Vertraulichkeiten herausnehmen? Also bitte, hatte er eines Tages gereizt gesagt, darf ich dich daran erinnern, dass wir ein Paar sind? Ein Paar! Sie hatte ihn eisig gemustert, merkwürdig, wie sehr ich auch darüber nachdenke, ich kann mich nicht daran erinnern! Kein gutes Zeichen für dich, was?
Er hatte noch bei keinem Menschen ein solches Maß an Distanziertheit und Herablassung erlebt. Sie gehört zu den Mädchen, die Fallschirm springen könnten … und zwar ohne Fallschirm. Allerdings muss man zugeben, sagte er sich, während er erneut auf seine Uhr schaute, dass sie ausnahmslos jeden so behandelt: Für sie besteht die ganze Welt aus ihren Lakaien.
Er seufzte.
Und das Schlimmste ist, dass genau das wahrscheinlich der Grund ist, warum ich hier wie ein Trottel sitze und auf sie warte …
Gerade als er sich dafür entschieden hatte, aufzustehen und die Serviette auf den Tisch zu werfen, ließ sich Hortense auf den leeren Stuhl ihm gegenüber fallen. Ihr langes kastanienbraunes Haar, ihre blitzenden grünen Augen und ihr strahlendes Lächeln zeugten von einem derart intensiven Lebenshunger, einer solchen Lebensfreude, dass Nicholas Bergson gegen seinen Willen erst hingerissen und anschließend gerührt war. Wie schön sie war! Strahlend and so chic ! Sie trug einen gegürteten Mantel aus schwarzem Wollstoff, dessen Ärmel sie hochgeschoben hatte, um die Oyster Rolex mit Edelstahlgehäuse an ihrem Handgelenk zu betonen, eine braun schimmernde Stretch-Jeans – eine neunhundertachtzig Pfund teure Balmain, wie er bemerkte –, einen Rollkragenpullover aus schwarzem Kaschmir und eine Kalbslederhandtasche von Hermès.
Erstaunt zog er eine Augenbraue hoch und fragte: »Woher stammt dieser Luxus?«
»Ich habe im Internet eine Seite gefunden, wo man alle möglichen Marken für einen Monat ausleihen kann. Ganz umsonst! Und du siehst, es wirkt, das ist das Erste, was dir auffällt. Du sagst nicht mal Hallo, in deinem kleinen Modediktatorenkopf denkst du gleich, wow, ist die schick! Du bist genau wie alle anderen, du lässt dich von Angeberei blenden …«
»Wie funktioniert das?«
»Du meldest dich an, hinterlegst eine bestimmte Summe als Kaution, und – zack! – leihst du aus, was du willst, und kleidest dich wie eine Prinzessin. Die Leute schauen dich an, sie respektieren dich, machen dir Komplimente! Hast du schon etwas ausgesucht?«, fragte sie, während sie die Karte überflog.
»Ich hatte ja genügend Zeit dazu«, erwiderte Nicholas spitz. »Ich kenne die Karte mittlerweile auswendig.«
»Und was nimmst du?«, fragte Hortense, ohne den frostigen Unterton zu beachten. »So, ich hab’s! Ich weiß, was ich will … Kannst du den Kellner rufen? Ich sterbe vor Hunger …«
Sie hob den Kopf, sah ihn an und brach in Lachen aus.
»Sag mal, bist du neuerdings schwul oder was?«
Nicholas blieb die Luft weg.
»Hortense! Was erlaubst du dir?«
»Hast du gesehen, wie du angezogen bist? Orangefarbenes Hemd, rosa Krawatte, violettes Jackett! Ich habe nirgendwo gelesen, dass das der neueste Trend wäre. Es sei denn, du
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