Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
Leben nie wieder kochen!«, schrie Zoé und steigerte sich in einen weiteren Weinkrampf hinein. »Meine ganzen Erinnerungen sind weg, meine ganze Vergangenheit, alles stand in meinem Heft! Mein ganzes Leben!«
In dem Blick, mit dem Hortense diese Tränenflut bedachte, spiegelte sich entnervtes Mitleid.
Das Abendessen verlief trübsinnig.
Zoé weinte in ihren Teller, Joséphine seufzte, und Hortense schwieg, doch ihr vorwurfsvolles Schweigen verriet deutlich, dass ihrer Meinung nach in diesem Haus zu viel Theater um ein albernes Rezeptheft gemacht wurde.
Sie rührten das Coq au vin, das Joséphine bereits am Vortag in Erwartung von Hortenses Rückkehr zubereitet hatte, kaum an und gingen leise zu Bett, als kämen sie von einer Beerdigung.
Seit Joséphine mit Gaston Serrurier zu Mittag gegessen und er angedeutet hatte, dass ihre Tantiemen deutlich zurückgegangen waren, fiel es ihr schwer, abends einzuschlafen. Sie lag auf dem Rücken, suchte nach einer bequemen Lage, der günstigen Haltung für ihren rechten Arm, dann den linken, der passenden Ausrichtung ihrer Beine, doch währenddessen tanzten die Zahlen in ihrem Kopf einen wilden Cancan und trieben sie in den Ruin. Die Angst vor der Armut kehrte zurück. Die Angst vor einer kärglichen Existenz. Das nächtliche Herumrechnen im fahlen Schein der Lampe. Jene alte Gefährtin, die sie aus ihrem Leben verbannt zu haben glaubte und die nun wieder ihr panisches Holzschuhtrappeln hören ließ.
Die erste Woge der Angst erfasste sie.
Sie stand auf, ging an ihren Schreibtisch, nahm die Kontoauszüge heraus, rechnete wieder und wieder, addierte dreimal hintereinander die gleichen Beträge, geriet durcheinander, begann von Neuem, zog Posten ab, legte sich hin, stand wieder auf, um noch mehr abzuziehen, sie hatte die Wohnsteuer vergessen … Malte sich aus, wie sie die Wohnung verkaufen, sich eine günstigere Unterkunft suchen würde … Wenigstens gehörte ihr eine schöne Wohnung in einem guten Viertel. Das war etwas, was sie verkaufen könnte. Schon, aber es blieb immer noch der Kredit abzustottern … Und Hortenses Schulgeld, Hortenses Zimmer in London, Hortenses monatliche Unterstützung. Davon hatte sie Serrurier nichts erzählt. Das würde sie niemals wagen.
Sie hatte das Geld und seine Klauen vergessen. Doch bald würde sie erneut dasitzen und angsterfüllt vor sich hin rechnen.
Um Zoé machte sie sich niemals Sorgen. Hortense war es, die ihre Panik weckte. Ihr keine schönen Kleider mehr kaufen zu können, sie zu zwingen, in ein weniger teures Viertel umzuziehen, sie daran zu hindern, dieses oder jenes zu tun, Träume zu entwickeln, die irgendwann Wirklichkeit werden würden … Unmöglich! Sie bewunderte die Energie und den Ehrgeiz ihrer Tochter. Und sie fühlte sich für ihren luxuriösen Geschmack verantwortlich. Sie hatte nie den Mut aufgebracht, sich ihren Wünschen zu widersetzen. Es war nur gerecht, dass sie jetzt die Folgen trug.
Sie richtete sich auf, atmete tief ein und sagte sich: Ich brauche doch nur eine Idee für ein Buch, dann kann ich mich wieder an die Arbeit machen. Ich habe es schließlich schon einmal geschafft …
Doch dann brach eine neue Woge der Angst über sie herein und begrub sie unter sich. Ein glühender Schraubstock presste ihre Brust zusammen. Sie bekam keine Luft mehr. Sie drohte zu ersticken. Rieb sich die Rippen. Zählte, zählte, um sich zu beruhigen und wieder zu Atem zu kommen. Eins, zwei, drei, das schaffe ich nicht, sieben, acht, neun, das schaffe ich nie, ich habe geträumt, ich könnte es schaffen, zwei Jahre lang bin ich in trügerischer Ruhe eingeschlafen … zwölf, dreizehn, vierzehn, ich bin ein Bücherwurm, keine Schriftstellerin. Ein kleiner, emsiger Bücherwurm, der seine Brötchen zwischen grauen, mit Büchern und Staub bedeckten Regalen verdient. Serrurier hat behauptet, ich sei eine Schriftstellerin, damit ich mich wieder an die Arbeit mache, aber er glaubt doch selbst kein Wort davon. Das Gleiche erzählt er sicher jedem Autor, bei einem Mittagessen in diesem Restaurant, dessen Karte er mittlerweile auswendig kennt …
Sie stand auf.
Ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Die Angst erzeugte eine so große Leere in ihr, dass sie sich am Rand des Spülbeckens abstützen musste.
Sie sprach mit Du Guesclin, der sie besorgt ansah, ich schaffe das nicht, weißt du, beim letzten Mal habe ich es nur geschafft, weil Iris mich dazu gedrängt hat. Iris hatte genug Kraft für zwei, sie zweifelte nicht, sie
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