Montags sind die Eichhörnchen traurig: Roman (German Edition)
stand nicht nachts auf, um Beträge zu addieren und zu subtrahieren, sie fehlt mir, Doug, sie fehlt mir so …
Du Guesclin seufzte. Wenn sie ihn Doug nannte, war die Lage ernst. Oder der Moment besonders bedeutsam. Und er legte den Kopf auf die rechte Seite, auf die linke Seite, um herauszufinden, ob es sich um ein großes Glück oder ein großes Unglück handelte … In seinem starren Blick lag eine solche Verzweiflung, dass sie neben ihm niederkniete, ihn in die Arme nahm und seinen großen, schwarzen Tapferer-Ritter-Kopf rubbelte.
Sie suchte Zuflucht auf dem Balkon und sah zu den Sternen auf. Ließ Kopf und Arme zwischen die Beine sinken und bat die Sterne, ihr Kraft und inneren Frieden zu schicken. Alles andere kriege ich schon hin … Schenkt mir Energie und Antrieb, dann lege ich auch wieder los, versprochen. Es ist so schwer, immer allein zu sein. Meinem Leben allein jeden Tag wieder aufs Neue den entscheidenden Anstoß zu geben.
Sie sprach ihr Gebet zu den Sternen, jenes Gebet, das schon so oft erhört worden war.
»Bitte, liebe Sterne, macht, dass ich nicht mehr allein bin, macht, dass ich nicht mehr arm bin, macht, dass man mir nicht länger so zusetzt, macht, dass ich nicht länger vor Angst zittere … Die Angst ist mein schlimmster Feind, die Angst lähmt mich. Schenkt mir inneren Frieden und Kraft, schenkt mir den Mann, auf den ich heimlich warte und dem ich mich nicht mehr nähern darf. Macht, dass wir uns wiederfinden und für immer zusammenbleiben. Denn die Liebe ist doch der größte Reichtum von allen, und ohne diesen Reichtum kann ich nicht sein …«
Sie betete mit erhobener Stimme und brachte dem Sternenhimmel das ganze Bündel ihrer Sorgen dar. Die Stille, der Duft der Nacht, das Murmeln des Windes in den Zweigen, all diese durch lange Gewohnheit vertrauten Bezugspunkte hüllten ihre Worte ein und besänftigten ihren erregten Geist. Ihre Ängste zerstreuten sich. Sie bekam wieder Luft, der glühende Schraubstock löste sich, sie spitzte die Ohren und horchte auf das Geräusch eines Taxis, das seine Fahrt verlangsamte und seinen Fahrgast aussteigen ließ, eine zuschlagende Tür, Frauenabsätze, die eine gepunktete Linie auf den Bürgersteig zeichneten, das Haus betraten, um die Zeit kommt sie erst nach Hause, lebt sie allein oder legt sie sich zu ihrem schlafenden Mann? Die Nacht nahm die Farben einer Unbekannten an. Wurde wieder vertraut. Die Nacht war nicht mehr bedrohlich.
Doch an diesem Abend sank vom Himmel kein Frieden herab.
Zoés Heft, wiederholte Joséphine unablässig, die Hände unter dem Federbett zu Fäusten geballt, Zoés Heft, und sie flehte den Himmel an, es wieder auftauchen zu lassen. Zoés Heft, Zoés Heft, diese Worte marterten ihren Kopf und bereiteten ihr Migräne. Zoé und das Kochen, Zoé und die Gewürze, die Soßen, die aufgehenden, zusammenfallenden Soufflés, der Eischnee, die schmelzende Schokolade, das sich goldgelb färbende Eigelb, die gemeinsam geschälten Äpfel, der Teig, der am Nudelholz klebt, der bräunende Karamell und der Ofen, der die Tarte verschlingt. Zoés ganzes Leben ist in diesem Heft enthalten: das Rezept für »poulet bicyclette«, das sie aus Kenia mit zurückgebracht hat, Antoines »einzig wahres« Kartoffelpüree, die Krabben nach skandinavischer Art ihrer Freundin Emma, der Crumble von Madame Astier, ihrer Geschichtslehrerin, die Lasagne von Mylène, Giuseppes Tagliatelle mit Lachs, ein Fondue aus Karamellbonbons und Krokant von Iphigénie … In diesen Rezepten zog ihr ganzes Leben vorbei, immer wieder unterbrochen von kurzen Schilderungen. Wie das Wetter war, welche Kleider sie gerade trug, was dieser oder jener gesagt und was sich daraus ergeben hatte, lauter Hinweise, die zusammen ihre Identität ergaben. Bitte, liebe Sterne, gebt ihr dieses Heft zurück, ihr braucht es doch nicht!
»Das wäre ein wundervolles Weihnachtsgeschenk«, fügte Joséphine mit suchend zum Himmel erhobenem Blick hinzu.
Doch die Sterne antworteten nicht.
Joséphine stand auf, zog das Federbett um ihre Schultern zurecht, ging wieder hinein, steckte den Kopf in Zoés Zimmer und betrachtete ihre schlafende Tochter. Sie hatte ein Bein von Nestor, ihrem Kuscheltier, im Mund … Obwohl sie mittlerweile fünfzehn war, gelang es Nestor immer noch, sie zu beruhigen.
Joséphine ging in ihr eigenes Zimmer und legte das Federbett aufs Bett. Wies Du Guesclin an, sich auf dem Teppich zusammenzurollen. Schlüpfte unter die dicke, warme Decke und schloss die Augen,
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