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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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nannte!» Die junge Frau kicherte. Sie hatte sich auf den alten Drehstuhl gesetzt und ihn in die Mitte des Zimmers gerollt. Mit ihren lang ausgestreckten Beinen schob sie den Stuhl sanft hin und her. Ihr Pferdeschwanz wippte mit ihr mit. Poppy ließ sich von der Bewegung hypnotisieren.
    «Natürlich will ich zum Fernsehen. Das wollen alle. Aber ich bin schon auch am seriösen Journalismus interessiert. Darum mach ich ja die praktische Ausbildung. An der Uni lernst du das Handwerk nicht, verstehst du, und Handwerk ist es, was dich am Ende von den anderen unterscheidet. Handwerk hat wahre Größe. Ich will nicht einfach eins dieser Fernsehsternchen werden, die schnell verglühen, schon klar.»
    «Klar.»
    Poppy hatte nicht studiert. Sie hatte nicht einmal die Schule abgeschlossen. Plötzlich erinnerte sie sich an eine weit entfernte Mathematikstunde. Da war es auch um wahre Größe gegangen. Poppy hatte damals schon nicht gewusst, was das hieß.
    Wahre Größe, hatte sie damals gedacht, wahre Größe ist, dass ich hier sitze, obwohl ich weiß, dass nichts Gutes dabei herausschauen kann, nie, an keinem Morgen, und doch komme ich wieder, steige die steinernen Stufen hinauf zu dem altmodischen grauen Bau. Die schwere Tür schlägt mir ins Gesicht, das Mädchen, das vor mir ging, hat sie nicht für mich aufgehalten, als wüsste sie, dass ich gar nicht hineingehen wollte. Wahre Größe ist, dass ich trotzdem hier bin.
    Aber das war es nicht, was Herr Steiner damals hatte zeigen wollen. Ihm ging es um die Höhe einer Pyramide, die man mittels komplizierter Formeln berechnen konnte. Diese Formeln bleiben immer gleich. Man musste sie sich nur merken. Poppy erkannte die versteckte Schönheit der Formeln, sie sehnte sich nach der Überschaubarkeit, der unerschütterlichen Ordnung, die die Mathematik versprach und die ihr doch, trotz ehrlicher Anstrengung, verschlossen blieb. Es war, als stünde sie an der Grenze eines Landes, für das sie kein Visum hatte. Das Land des logischen Denkens. Tatsächlich hatte ihr Klassenlehrer, der gleichzeitig ihr Deutschlehrer war, einmal unter einen Aufsatz geschrieben: «Die Türen zum Reich des logischen Denkens bleiben Ihnen offenbar bis auf weiteres verschlossen.»
    Poppys Vater hatte gegen den Eintrag protestiert. Das tat er manchmal, tauchte aus dem Nichts auf und versuchte, Ordnung in Poppys Leben zu bringen. Kurz nachdem sie mit dem Gymnasium begonnen hatte, hatte er sich an einem Sonntagmorgen mit ihr hingesetzt, ließ sie ihre Schultasche ausräumen, hatte alle Hefte und Bücher auf dem Tisch ausgelegt, ihren Stundenplan studiert und die Stapel nach Wochentagen sortiert. Er hatte ihr geholfen, die Bücher und Hefte mit buntem Wachspapier ordentlich einzubinden und mit Etiketten zu versehen.
    «Jeden Abend», sagte er, «bevor du ins Bett gehst, schaust du in deinen Stundenplan. Was hab ich morgen für Fächer? Was brauche ich? Dann packst du die entsprechenden Bücher und Hefte ein.»
    Er zeigte ihr auch, was sie mit dem Aufgabenheft anfangen sollte. «Am Sonntag planst du deine Woche», sagte er. «Hier, schau: Auf Mittwoch hast du Französischvokabeln UND drei Matheaufgaben, auf Dienstag nichts. Das heißt, du machst die Mathe am Montag und die Vokabeln am Dienstag, dann sind sie am Mittwoch noch frisch in deinem Kopf.»
    Poppy hatte genickt. Das klang einleuchtend, einfach, überschaubar. Alles ließ sich bewältigen. Poppy schaute ihren Vater an und dachte zum ersten Mal: Das kann ich. Ich kann so sein wie er, der jeden Abend ein frisches Hemd aus dem Schrank holt und auf den Bügel seines stummen Dieners hängt, zusammen mit einer passenden Krawatte und dem Anzug von gestern. Der seine Aktenmappe bei der Tür bereitstellt, den Schlüssel obendrauf legt. Ihr Vater geriet nie in Panik, selbst wenn sie in die Ferien verreisten, er ging langsam und methodisch vor und hatte alles im Griff. Und wenn sie sich der Grenze näherten und Poppys Mutter hektisch in ihrer Handtasche wühlte und feststellte, dass sie Poppys Pass nicht eingesteckt hatte, wendete er wortlos den vollgepackten Wagen und fuhr mehr als drei Stunden zurück nach Hause. Poppys Mutter weinte die ganze Zeit.
    Ich bin nicht wie meine Mutter, dachte Poppy. Ich bin wie mein Vater. Und sie saß am Esstisch – der Schreibtisch in ihrem Zimmer war unter Bergen von Papier vergraben, denen sie sich nicht stellen wollte – und plante ihre Woche. Verteilte ihre Schularbeiten in überschaubare, machbare Portionen auf die ganze

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