Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen
die, die sich widersetzten, die ihre ganze Aufmerksamkeit bekamen. Eine Schülerin wie Poppy ließ Nevada zweifeln. Konnte jemand zwanzig Jahre oder länger Yoga üben und doch so ungefestigt sein?
Konnte jemand so viel Yoga üben und doch so müde sein? Nevada träumte von ihrem Bett. Immer wieder erschien ihr die mit indischen Stoffen bezogene Daunendecke. Die Sehnsucht nach diesem Ort, diesem Bett, dieser Decke war so stark, dass sie ihr kaum widerstehen konnte. Nevadas Zimmer befand sich gleich über dem Yogastudio. Es gehörte eigentlich zu Lakshmis Loft, hatte aber eine eigene Zugangstür. Keine Küche, kein Bad. Dafür war es groß. Ein Tempel für Nevadas Bett, mehr stand nicht darin, das große Bett mitten im Raum, ordentlich gestapelte Bücher, zusammengerollte Yogamatten, ihre paar Kleider sauber gefaltet. Das Einzige, was zwischen ihr und ihrem Bett stand, war die steile Treppe. Gestern hatte sie sich auf halber Höhe setzen müssen, auf die glatte kalte Betonstufe. Sie hatte den Kopf an die Wand gelegt und gedacht: Hier komme ich nicht mehr hoch. Sie wusste nicht, wie lange sie da gesessen hatte, als Lakshmi mit zwei vollen Einkaufstüten an ihr vorbeigestiegen war – «Meditierst du hier?» Irgendwo hatte sie die Kraft gefunden, den Arm zu heben, das Geländer zu fassen, sich hochzuziehen. Nach einem Schritt oder zwei waren ihre Beine wieder etwas leichter geworden. Ihr Körper war wie ein alter Motor, der erst warmlaufen musste.
Nevada ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Ein Neuer, ein dunkelhaariger Mann, der seine Matte dicht neben der von Marie ausgerollt hatte – ihr Mann? Der Schauspieler? Die Blicke, die durch den Yogaraum zuckten, trafen sich über seiner Matte. Und Marie wirkte verstimmt. Nevada würde sich nicht beeindrucken lassen. Vor fünfzehn Jahren hatte sie in einem Studio in New York unterrichtet, in dem viele Schauspieler verkehrten, berühmtere als dieser. Sie atmete tief ein.
«Fangen wir an. Anjali Mudra . Hände zum Gebet.» Nevada wusste, dass sie etwas sagen musste. Zu dem Vorfall in der vergangenen Woche. Zu ihrem Sturz. Einige der Schüler besuchten mehr als eine Stunde pro Woche, auch bei anderen Lehrern. Andere hatten sie seit letztem Montag nicht mehr gesehen. Sie beobachteten sie misstrauisch.
«Letzte Woche hatte ich das, was man einen Yoga-Unfall nennt», sagte sie. «Ein Widerspruch in sich, ich weiß. Aber Yoga heißt Verbindung, heißt, Widersprüche miteinander zu verbinden. Ich habe, ohne mir dessen bewusst zu sein, meine Handgelenke überstrapaziert. Ich arbeite in meiner privaten Übungspraxis an Handstandreihen und anderen Stellungen, bei denen man sich auf die Hände und Unterarme stützt. Jede Übung hat eine Gegenübung, wie ihr wisst. Auf Rückbeugen folgen Vorbeugen, nach den Armen kommen die Beine dran. Das muss ich wohl vernachlässigt haben. Meine Arme haben mir das letzte Woche deutlich zu verstehen gegeben. Die Lektion von Yoga ist nie ausgelernt. Deshalb heute gleich als Erstes: Eine Stellung, die die Handgelenke schont und entspannt!»
Nevada beugte sich vor. Ihr Oberkörper presste sich flach auf ihre Schenkel. Sie schob ihre Hände unter die Füße, mit den Handrücken nach unten. Dann streckte sie ihre Beine durch und presste fest mit den Fußsohlen auf ihre Handflächen. Vor Schmerzen hätte sie beinahe aufgeschrien. Sie biss sich auf die Lippen, doch sie konnte nicht verhindern, dass ihr Tränen über die Wangen liefen. Vorsichtig löste sie ihre Hände. Zum Glück waren alle Gesichter nach unten geneigt, alle Blicke auf die eigenen Schienbeine gerichtet. Nevada wischte sich über das Gesicht und ging zwischen den Reihen hindurch, verfolgt von Poppys bohrendem, fragendem Blick. Dabei hielt sie mit den Händen ihre Ellbogen fest.
«Und? Tut das nicht gut?»
Einige seufzten zustimmend.
«Mmmm!», machte Nevada. «Ja, das tut gut. Lasst euch das eine Lehre sein. Ich mache Fehler, damit ihr sie nicht wiederholen müsst!»
Einige lachten.
«Nun gut! Genug der Entspannung, jetzt wollen wir den Körper fordern, damit der Geist ruhig werden kann.» Nevada ging zurück zu ihrer Matte. Ihre Beine waren schwer. Ihre Oberschenkel schmerzten, doch es war ein vertrauter Schmerz. Muskelkater. Sie begrüßte den Schmerz wie eine Bestätigung, dass sie genug geübt hatte. Doch sie hatte seit einer Woche nicht geübt. Die letzten Schritte zu ihrer Matte führte sie wie in Zeitlupe aus. Sie fühlte sich, als müsste sie ihre Füße durch nassen
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