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Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen

Titel: Montagsmenschen - Moser, M: Montagsmenschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena Moser
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gesagt, damals, wenn er sich über sie beklagt hatte. Warum hatte sie geglaubt, in ihrem Fall sei es anders, sei es kein Klischee, wenn der verheiratete Mann zu ihr sagte: «Meine Frau versteht mich nicht!» Den Kopf in ihren Schoß legte und wenig später durch den weichen Stoff ihrer Pyjamahose in ihren Schenkel biss? Bei uns ist es anders. Wir lieben uns wirklich.
    Und kaum zwei Jahre später war sie es, die ihn nicht verstand. Marie fragte sich, ob Gion seinen Kopf in fremde Schöße legte. Und ob es ihr etwas ausmachen würde. An der Verleihung – er hatte den Einzelpreis nicht bekommen, aber die Serie war als Ganzes ausgezeichnet worden – hatte er mit der Produzentin geflirtet, einer strengen Blondine, die er immer «Büffelknochen» genannt hatte. Auf einem Foto, das in der Boulevardpresse abgebildet worden war, hatte er einen Arm so tief unter ihre Taille gelegt, dass seine Hand ihr Hinterteil berühren musste. Ihr knochiges, flaches Hinterteil. Gion hatte geradezu darauf gewartet, dass Marie das Foto kommentierte, und als sie es nicht tat, hatte er davon angefangen: «Du kannst nicht von mir erwarten, dass ich mich nicht amüsiere, nur weil du beschlossen hast, zu Hause zu bleiben!»
    «Ich hab doch gar nichts gesagt!»
    «Das ist es ja! Du nimmst keinen Anteil!»
    Sie war langweilig, sie trank zu wenig, sie ließ sich nicht in nächtelange Diskussionen verwickeln. Sie war nicht angemessen empört, wenn Gions Monolog gekürzt wurde oder wenn er plötzlich drei Seiten neuen Text lernen musste, morgens zwischen sieben und acht vor dem ersten Dreh, während er noch in der Maske saß.
    Sie legte ihr Handy zur Seite. Sie hatte keine Freundin. Sie konnte niemanden anrufen. Sie zog den Teller zu sich heran und zerschnitt zwei Schinken-Canapés in mundgerechte Stücke. Sie wusste, woraus die Sulzschicht darauf bestand, aus Knochen. Wenn sie schon rauchte, sollte sie nicht wenigstens gesund essen? Sie war Ärztin. Sie glaubte nicht an Vorsorge. Sie glaubte daran, dass sich alles reparieren ließ.
    Oder fast. Sie dachte an Nevada. Dumme Kuh, schalt sie sich. Was grübelst du über deine Eheprobleme nach? Andere haben wirkliche Probleme. Und solche, die sich nicht reparieren lassen! Ihr erster Verdacht, Polyarthrose, hatte sich nicht bestätigt. Trotzdem hatte der Rheumatologe ihre Vermutung wohl geteilt, sonst hätte er nicht diese starken Schmerzmittel verschrieben. Marie wusste, dass alle harmloseren Diagnosen ausgeschlossen worden waren. Sie hatte sich Zugang zu Nevadas Patientenkarte verschafft. Sie wusste, dass mit jeder weiteren Untersuchung der Kreis enger wurde. Bis am Ende nur noch ausweglose Szenarien denkbar waren.
    Marie riss sich zusammen. Sie fuhr zur Fabrik am Wasser und kam gerade noch rechtzeitig zur Anfängerstunde. Diesmal waren sie nur zu dritt. Ted war nicht dabei. Marie war einen Augenblick lang enttäuscht, wischte das Gefühl dann ungehalten weg. Sie konnte ohne seine Blicke leben.
    Stattdessen beobachtete sie Nevada genau. Ihr Zögern vor bestimmten Bewegungen, ihr verlangsamter Gang, das beinahe unmerkliche Einknicken ihrer Fußknöchel bei jedem Schritt. Ihre Schmerzen waren echt, aber nicht konstant. Marie befürchtete das Schlimmste. Doch irgendwann gab sie sich dem unbeirrbaren Rhythmus von Absicht, Atem und Bewegung hin. Als sie nach der Stunde auf dem Rücken lag, schlief sie nicht ein. Sie spürte ein leises Summen in ihrem Körper und stellte sich vor, das sei Prana , die Lebensenergie, die Nevada beschrieb, und die sich allen anatomischen Erkenntnissen der letzten Jahrhunderte zum Trotz auf verschlungenen Wegen in ihrem Körper verteilte.
    «Wir atmen mit dem Herzen», hatte Nevada gesagt.
     
    Marie schloss die Türe auf. Sie wusste sofort, dass Gion nicht zu Hause war, sie spürte seine Abwesenheit beinahe physisch. Nun hätte sie erleichtert sein müssen, denn genau das hatte sie sich so oft gewünscht. Nur eine Stunde oder wenigstens eine halbe. Nur, bis sie wieder bei Kräften war. Und angemessen auf ihn eingehen konnte. Es war ja nicht so, dass sie das nicht wollte. Es war nur so anstrengend.
    Sie schaltete das Licht ein, schlüpfte aus der Jacke, hängte sie an den Haken, legte ihre Schlüssel in die Schale neben der Tür. Jeder Handgriff war automatisch. Wie im Operationssaal. Marie mochte den Operationssaal nicht. Sie mochte es nicht, mit Bewusstlosen zu arbeiten. Zu schnell vergaß sie, wer da vor ihr lag, sah nur noch das Operationsfeld, sauber abgesteckt, abgeklebt,

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