Montana 04 - Vipernbrut
Geheimnis, das sie innerlich aufzufressen schien. »Du hättest mir ruhig von dem Kind erzählen können«, sagte sie achselzuckend. »Das ist doch keine große Sache.«
»Für mich ist es … war es das schon.« Alvarez nahm einen Schluck von ihrem Wein, ein weiterer Schock für Pescoli, da Selena für gewöhnlich Wasser oder grünen Tee trank und Alkohol strikt ablehnte.
»Demnach wusstest du also, dass Grace Perchant mit ihrer seltsamen Verkündigung, dein Sohn sei in Gefahr, Reeve meinte?«
»Nein! Zum einen glaube ich nicht an das, was Grace Perchant von sich gibt. Du liebe Güte, sie glaubt, sie könne mit Geistern sprechen! Zum anderen hatte ich da noch keine Ahnung, dass der Junge in meinem Haus aufkreuzen würde!«, blaffte Selena verärgert.
»Autsch! Tut mir leid. In letzter Zeit muss ich mich furchtbar oft entschuldigen! Alle behaupten, ich sei unsensibel, ständig schlecht gelaunt oder neben der Spur, und ich entschuldige mich. Irgendwie kommt mir das seltsam vor.« Sie nahm einen großen Schluck Bier aus ihrem eisgekühlten Glas. »Erzähl weiter.«
Alvarez starrte in ihren Merlot, als könne sie die Zukunft daraus lesen. »Ich kannte nicht mal seinen Namen«, flüsterte sie kopfschüttelnd. »Ich hatte keinerlei Kontakt zu ihm. Damals dachte ich, das wäre das Beste für alle Beteiligten.«
»Und was denkst du heute?«
»Heute möchte ich ihn einfach nur finden.« Ihre dunklen Augen blickten besorgt drein. Nervös drehte sie den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern.
»Was ist mit dem Vater des Jungen?«
»Der hat keine Ahnung«, antwortete sie düster. »Er wusste nicht einmal, dass ich schwanger war.«
»Ein Freund von der Highschool? So was in der Art?«
Alvarez zögerte, dann sagte sie: »So was in der Art. Er ist nicht weiter von Bedeutung, okay?«
Offensichtlich war das Thema tabu. »Na schön. Was ist mit O’Keefe? Er ist dem Jungen doch ebenfalls auf der Spur.«
»Das ist richtig.«
Pescoli nahm einen weiteren Schluck Bier und lauschte auf das Klackern der Billardkugeln. »Ich habe ihn überprüft. Habe in Helena angerufen und mit Detective Trey Williams gesprochen. Er teilte mir mit, O’Keefe sei sauber, eine Art Deputy, wenn auch nicht offiziell.«
»O’Keefe hält sich nicht immer an die Regeln.«
»Das hatte ich vermutet.«
»Aber er arbeitet sehr effizient.«
»Genau das hat Williams auch behauptet, selbst wenn ich bislang nicht viel davon bemerkt habe. Der Junge ist sein Cousin?«
»Gabriels Adoptivmutter, Aggie Reeve, ist Dylans Cousine.«
»Aha … das wird ja immer verwirrender. Du warst mit ihm zusammen, oder?«
Noch bevor Alvarez antworten konnte, hob Pescoli abwehrend die Hand. »Bitte streite das jetzt nicht ab. Ich bin nicht umsonst Detective geworden. Ich werde dafür bezahlt, Dinge herauszufinden.«
»Na gut«, gab Alvarez zu und reckte leicht das Kinn vor, »wir hatten ein Verhältnis.«
Pescoli zog eine Augenbraue in die Höhe.
»Nein, nicht wie du denkst.« Alvarez senkte den Blick und fluchte leise, dann fuhr sie fort: »Wir standen uns nahe, sehr nahe. Vorübergehend dachte ich, ich wäre in ihn verliebt und er wäre vielleicht >der Richtige<, wenn man denn an so etwas glaubt«, ihr Mund zuckte, in ihren Augen lag Bitterkeit, »was ich übrigens nicht tue. Bevor die Dinge zu kompliziert wurden, bin ich ausgestiegen. Nun, zumindest dachte ich das. Es scheint mir wohl nicht ganz gelungen zu sein.« Wieder drehte sie den Stiel ihres Weinglases zwischen den Fingern, heftiger diesmal, und betrachtete scheinbar fasziniert, wie die blutrote Flüssigkeit gegen die Innenseite schwappte.
»Und dann ist in San Bernardino alles den Bach runtergegangen?«
»Ja. Das Ende vom Lied war, dass ich das Department verlassen habe und O’Keefe ebenfalls. Es gab eine interne Untersuchung, und obwohl er von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen wurde, was den Schuss auf Alberto De Maestro anbetraf, verklagte De Maestro, der überlebte, sämtliche an dem Einsatz Beteiligten.«
»Inklusive des Departments? «
»Vor allem das Department. Das gab damals einen ziemlichen Presserummel.«
»Deshalb hat O’Keefe gekündigt.«
»Hast du etwas darüber gelesen?«
»Alles, was ich finden konnte. Die Fakten. Was ich nicht nachvollziehen konnte, war die emotionale Geschichte, die dahintersteckte.«
»Die kennst du jetzt.«
»Und du bist immer noch in ihn verliebt, hab ich recht?«
»In O’Keefe?« Alvarez schüttelte den Kopf, doch sie wich Pescolis Blick aus.
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