Montana 04 - Vipernbrut
loslassen.«
»Wenn es denn tatsächlich vorbei ist«, stellte er klar.
Ihre Blicke trafen sich, verloren sich ineinander, bis sie sich zwang, zur Seite zu schauen, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und die Gedanken an die Zeit zu verdrängen, die sie zusammen verbracht hatten, an die Küsse unter den Palmen, die gestohlenen Momente im Schatten der Gebäude, die Nacht unter der Dusche. Nur allzu gut erinnerte sie sich an das Gefühl seiner Hand auf ihrer nassen Haut. Verdammt.
»Es ist das einzig Vernünftige«, flüsterte sie.
»Das Leben besteht nicht nur aus Vernunft.«
»Doch«, beharrte sie, »immer.«
Zu ihrer Bestürzung streckte er die Hand aus und berührte sie am Ellbogen. »Selena?«, flüsterte er, und der harte Panzer um ihr Herz, den sie so verzweifelt verteidigte, bekam Risse. Die lange Woche, der Verlust ihres Hundes, das Wissen, dass ihr Sohn irgendwo da draußen in der bitteren Kälte war, ganz in ihrer Nähe und doch so weit weg, und dann auch noch Dylan O’Keefe, hier, in ihrem Haus … Sie sträubte sich nicht, als er sie in seine Arme schloss, obwohl sie sich innerlich eine Närrin schalt. Er legte ihr einen Finger unters Kinn, hob ihr Gesicht und küsste sie. Unnachgiebig. Mit einer Leidenschaft, an die sie sich nur allzu gut erinnerte.
Heiße Tränen brannten hinter ihren Augenlidern, als seine Lippen über ihre glitten und sie seinen kratzigen Bartschatten auf ihrer Haut spürte.
Ein Dutzend Erinnerungen überwältigten sie. Vor ihrem inneren Auge sah sie, wie sie lachend mit ihm durch einen plötzlichen Regenguss zu seinem Pick-up rannte, die Bluse so nass, dass sie an ihrer Haut klebte und der BH darunter zu sehen war. In der Kabine küssten sie sich, berührten einander, Alvarez’ Blut rauschte, und sie zitterte vor Begierde. Die Fenster des alten Pickups beschlugen, Regen prasselte gegen die Windschutzscheibe, Blitze zuckten am Himmel. Donner grollte durch die leeren Straßen und katapultierte sie zurück in eine andere Zeit, an einen anderen Ort, in einen anderen Wagen. Es roch nach Zigaretten und Bier, und sie spürte die groben Hände ihres Cousins Emilio, den harten Plastiksitz des EI Camino.
»Hör auf damit«, hatte sie gesagt, als er über sie hergefallen war. »Geh runter von mir!«
Doch er, befeuert von Alkohol und dem Bedürfnis, ihr seine Macht zu demonstrieren, hatte nicht auf sie gehört. Sie hatte geschrien. Sie hatte sich gewehrt. Sie hatte das Messer aus seiner Hosentasche gezogen und ihn damit bedroht - ohne Erfolg. Der Schnitt, den sie ihm an der Schulter beibrachte, hatte ihn nur noch mehr angestachelt.
All ihr Treten und Schreien und Spucken und Weinen hatte ihn nicht aufhalten können, und er hatte sie dort, im El Camino seines Vaters, vergewaltigt, hatte ihr auf brutalste Weise ihre Jungfräulichkeit genommen und sie geschwängert, alles innerhalb von höllischen zehn Minuten, die ihre Seele zerstört hatten.
Seitdem hatte sie keinen Mann an sich heranlassen können.
War nicht fähig, einen Mann zu lieben, auch nicht während des Wolkenbruchs in der Kabine von O’Keefes Pick-up.
Nicht in O’Keefes Dusche.
Und auch nicht, so dachte sie nun, in ihrem Stadthaus.
Sie hob den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Ich … ich halte das für keine gute Idee.« Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, und sie befreite sich aus seiner Umarmung.
»Da hast du recht.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und trat einen Schritt zurück.
Sie atmete tief durch. »Wir sollten uns besser an die Arbeit machen und uns nicht von unverarbeiteten Gefühlen ablenken lassen. Im Augenblick zählt nur, dass wir Gabe finden müssen.«
Er sah sie durchdringend an. »Einverstanden«, sagte er schließlich. »Doch vorher sollten wir uns etwas zu essen besorgen.« Sie öffnete schon den Mund, um ihm zu widersprechen, doch er kam ihr zuvor und brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. »Nur fürs Protokoll: Das hier ist kein Date.« Er zögerte, dann fügte er hinzu: »Aber ich bin halb am Verhungern, und ich denke, wir brauchen beide eine Pause, jetzt, da wir die Grundregeln aufgestellt haben.«
»Kein Date.«
»Definitiv nicht.«
»Wie wär’s, wenn wir eine Pizza bestellten?«
»Schon wieder?«
»Der Chinese liefert nicht in diese Gegend. Außerdem essen wir beide gerne Pizza. Dino liefert bei jedem Wetter. Anschließend könnten wir uns gleich an die Arbeit machen.«
»Ist die Pizza gut?«
»Die beste der ganzen Stadt. Mit Sicherheit genauso
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