Montana 04 - Vipernbrut
Kerl.
Und erst die Jungen - mein Gott.
O’Keefe stellte den Fernseher aus, schnappte sich seine Waffe und beschloss, noch einmal mit Selena Alvarez zu reden. Ob es ihm gefiel oder nicht - sie war die einzige Verbindung zu Gabe, die er hatte.
Vermutlich war es ein Fehler gewesen, Pescoli von dem Baby zu erzählen, dachte Alvarez, doch es war ihr nichts anderes übriggeblieben: Die Wahrheit wäre früher oder später ohnehin ans Tageslicht gekommen. Gabriel Reeve hatte sie offenbar bereits gekannt. Während sie jetzt nach Hause fuhr, dachte sie an den Jungen und fragte sich, was sie zu ihm sagen sollte, wenn sie ihn erst einmal gefunden hatten.
»Warum bist du ausgerechnet in mein Haus eingebrochen?«
»Weißt du, wer ich bin?«
»Hast du nach mir gesucht?«
»Weißt du, dass es die schwerste Entscheidung meines Lebens war, dich zur Adoption freizugeben?«
Bei der Vorstellung, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen, schnürte sich ihre Kehle zusammen.
»Denk nicht daran«, ermahnte sie sich selbst, als sie in die Straße einbog, die zu ihrer Wohnanlage führte und O’Keefes alten Explorer in der Nähe ihrer Einfahrt parken sah.
Ihre Finger schlossen sich fester ums Lenkrad, und sie spürte, wie ihr Puls in die Höhe schnellte. Hatte er etwas Neues über Gabe in Erfahrung gebracht? Ihre Sorge wuchs, als sie in ihrer Einfahrt stehen blieb und sah, wie sich die Tür seines Geländewagens öffnete und ihr Ex-Partner ausstieg.
»Gibt es was Neues?«, rief sie ihm zu, als sie aus dem Outback kletterte und die Tür zuknallte.
»Dasselbe wollte ich dich gerade fragen.«
»Na super. Ich hatte gehofft, du hättest meinen Sohn gefunden.«
»Und ich hatte gehofft, du hättest einen Hinweis für mich.«
»Ich war ziemlich beschäftigt«, sagte sie. »Falls du das noch nicht bemerkt haben solltest.«
»Doch, das habe ich.« Er streckte die Hand aus, um ihr die Laptoptasche abzunehmen, doch sie ging darüber hinweg und marschierte ihm voraus zum Haus. Sie wollte nicht mit ihm zusammen sein; es war einfach zu kompliziert, doch wegen Gabe blieb ihr im Augenblick keine andere Wahl.
Als sie die Tür auf sperrte, rief sie sich in Erinnerung, dass sie diese Ermittlungen streng professionell handhaben musste, ganz gleich, wie persönlich der Hintergrund sein mochte. Egal, ob er ihr Sohn war oder nicht: Gabriel Reeve hatte eine Adoptivmutter und einen Adoptivvater, eine richtige Familie, komplett mit Geschwistern. Da durfte sie nicht hinein-pfuschen.
Was O’Keefe anbelangte, so war er definitiv tabu. Sie würde sich nicht wieder mit ihm einlassen. Nicht dass er Interesse an einem Wiederaufleben ihrer Liebschaft bekundet hätte, doch zwischen ihnen knisterte es, das konnte sie nicht leugnen - eine Leidenschaft, die sie unbedingt unter Verschluss halten musste.
Im Flur warf sie ihre Schlüssel auf den Garderobentisch und zog Jacke und Stiefel aus. O’Keefe tat unaufgefordert das Gleiche. Alvarez rief nach ihrer Katze, und Mrs. Smith erschien auf der Treppe und steckte ihr Gesichtchen durchs Geländer. O’Keefe lachte. »Sie ist ein Clown«, sagte er, und die Katze, als wüsste sie, dass sie gemeint war, huschte die restlichen Stufen herunter und rieb sich an seinen Beinen.
»Sie ist kein Clown, sie ist eine kleine Verräterin«, bemerkte Alvarez, doch sie lächelte dabei. »Sie war eine Waise. Ihre Besitzerin wurde ermordet, und weil ich in dem Fall ermittelte und niemand Anspruch auf sie erhob, habe ich sie bei mir aufgenommen.«
»Und was ist mit dem Hund?«
»Das war eine spontane Entscheidung.« Sie blickte auf den Korb in der Ecke des Wohnzimmers. »Ich hatte so gehofft, er wäre mittlerweile wieder aufgetaucht.« Sie verspürte einen Stich im Herzen. »Ich vermisse ihn. Versteh mich nicht falsch, Roscoe war manchmal eine echte Nervensäge, aber trotzdem … dass er jetzt weg ist, geht mir wirklich unter die Haut.«
»So was kommt vor«, sagte O’Keefe. Als sie sich ihm zuwandte, stellte sie fest, dass er sie durchdringend anblickte. »Und zwar genau dann, wenn man es am wenigsten erwartet.«
Sie spürte einen Kloß im Hals. Der Raum schien plötzlich kleiner zu werden. Sie wusste, dass er von ihrer kurzen gemeinsamen Zeit sprach, von jenem glühend heißen Sommer in Kalifornien. Es brauchte so wenig, um die Flamme wieder zum Lodern zu bringen … so verdammt wenig. Doch das wäre ein großer Fehler. »Ich weiß«, sagte sie mit rauher Stimme, »doch wenn etwas vorbei ist, sollte man
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