Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
Nomadenleben – das sie dennoch nie davon abhielt, seine Unterhaltsschecks einzulösen – bekam er seine Tochter nur selten zu sehen, und es tat ihm in der Seele weh, dass er meistens nicht wusste, was sie gerade tat.
Bonnie setzte sich auf seinen Schoß, legte den Kopf an seine Brust und stieß einen leisen Seufzer aus, vielleicht aus Erleichterung, vielleicht auch aus Resignation. Vermutlich hatte sie einen schlimmen, anstrengenden Tag hinter sich.
Für einen Moment ließ Dylan das Kinn auf den Kopf seiner Tochter sinken. Seine Augen brannten, und seine Kehle glühte, als hätte er versucht, ein Brandeisen zu schlucken. Er beugte sich vor, steckte den Schlüssel ins Zündschloss und legte den Gang ein.
Logan.
Das war sein nächster Gedanke. Er musste zu Logan fahren. Schließlich war sein Bruder Anwalt. Auch wenn Dylan genug Geld besaß, um jeden Rechtsverdreher im Land zu engagieren, und auch wenn er und Logan sich nicht so ganz grün waren, wusste er, er konnte keinem anderen etwas so Wichtiges anvertrauen.
Bonnie war auch seine Tochter, nicht nur Sharlenes. Und sie verdiente es, in geordneten Verhältnissen zu leben, anständige Kleidung zu tragen – ihr Overall sah aus, als hätte die letzten Jahre jede Nacht ein Hund darauf geschlafen – und wenigstens einen verantwortungsbewussten Elternteil stets um sich zu haben.
Okay, ganz so verantwortungsbewusst war er vielleicht auch nicht. Immerhin hatte er jahrelang sein Geld mit Rodeos verdient, an deren Stelle nun seine Pokerpartien getreten waren. Und neben einer gewissen guten Investition und einer fast schon beängstigenden Tendenz, an praktisch jedem Pokerabend einen Royal Flush hinzulegen, hatte er für einige Filme diverse hoch bezahlte Stunts erledigt.
Dennoch war er im Vergleich zur unsteten Sharlene ein aussichtsreicher Anwärter auf den Titel
Vater des Jahres
.
Erst als er sein Lieblingshotel South Point erreichte, entdeckte er den Brief, der in einer schmuddeligen Reisetasche auf dem Rücksitz steckte. Er nahm die schlafende Bonnie auf den Arm, und während er darauf wartete, dass ein Hotelangestellter zu ihm kam, um den Truck ins Parkhaus zu fahren, las er den Brief durch.
Ich habe einige Probleme
, hatte Sharlene in ihrer kindlichen Handschrift mit extremem Linksdrall auf einem billigen Notizzettel hingekritzelt.
Darum kann ich mich nicht länger um Aurora kümmern.
Jetzt nannte sie sie Aurora? Lieber Himmel, warum nicht gleich Oprah?
Ich glaube, es ist besser, wenn ich sie zu dir bringe, anstatt sie in eine Pflegefamilie zu geben. Das habe ich selbst mitgemacht, und das war Mist. Versuch nicht, mich zu finden. Ich habe einen Freund, und wir machen uns auf den Weg. Sharlene.
Dylan atmete tief durch. Er nahm den Parkschein entgegen und griff nach der Reisetasche. Seine eigenen Sachen würde er sich von Madelines Wohnung herschicken lassen, wo er normalerweise übernachtete, wenn er einen Abstecher nach Vegas machte. Das würde Madeline zwar nicht gefallen, doch er beabsichtigte nicht, mit seiner zweijährigen Tochter bei ihr aufzutauchen.
Im South Point stieg Dylan beim National Finals Rodeo ab oder wenn Madeline durch ihren Job als Flugbegleiterin nicht in der Stadt war. Oder wenn sie gerade einen anderen Freund hatte.
Das Hotel war familienfreundlich, und er und Bonnie waren Familie.
Nachdem er sich ein Zimmer mit zwei riesigen Betten genommen hatte, bestellte er beim Zimmerservice Hamburger, Fritten und Milchshakes. Während sie auf ihr Essen warteten, rollte sich Bonnie schläfrig auf ihrem Bett zusammen, steckte den Daumen in den Mund und verfolgte jede seiner Bewegungen.
“Wir kriegen das schon hin, Kleine”, sagte er zu ihr.
Sie wirkte so klein und verwundbar, wie sie in ihrer schäbigen Kleidung dalag. “Daddy”, erwiderte sie, gähnte von Herzen und schob den Daumen wieder in den Mund, um eifrig daran zu nuckeln.
“Ganz richtig”, antwortete Dylan und widmete sich der Tasche, die Sharlene mit seiner Tochter zurückgelassen hatte. Darin befand sich weitere Kleidung im gleichen erbärmlichen Zustand wie das, was das Mädchen gerade trug, außerdem eine abgenutzte Kinderzahnbürste und eine nackte Babypuppe mit Kugelschreiberflecken im Gesicht. “Ich bin dein Daddy. Und wie es aussieht, werden wir beide morgen früh erst mal einkaufen gehen.”
Es gab keinen Schlafanzug, keine Strümpfe, nicht mal Schuhe. Nur zwei weitere Overalls und zwei armselige T-Shirts.
Wut kochte in Dylan hoch. Verdammt noch mal, wofür gab
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