Montana Creeds - Soweit die Sehnsucht trägt (German Edition)
gedrungene Backsteingebäude mit den grünen Fensterläden und dem mit Schindeln gedeckten Dach. Und sie liebte es, von Büchern und von den Menschen umgeben zu sein, die diese Bücher lasen.
Sie und einige andere Leute, die in dieser Gegend von Montana aufgewachsen waren, hatten einen beharrlichen Kampf austragen müssen, um das Geld für eine neue Bibliothek und einen angemessenen Bestand an Büchern zusammenzubekommen, nachdem das alte Gebäude einem Feuer zum Opfer gefallen war.
Ihren dunkelgrünen Geländewagen, einen Chevrolet Blazer, stellte sie auf dem für sie reservierten Platz ab, dann eilte sie zum Seiteneingang. Der Haupttrakt der Bibliothek war bereits am Nachmittag geschlossen worden, da in einer der Toiletten Klempnerarbeiten durchgeführt werden mussten, aber die beiden kleinen Versammlungsräume standen dennoch zur Verfügung – einer für den Leseclub, der andere für die Anonymen Alkoholiker.
Sie hängte ihre Tasche an einen Haken, wusch sich die Hände in der Spüle der kleinen Kochnische zwischen den beiden Räumen und begann dann, sich mit der großen Kaffeekanne abzumühen.
Sheriff Floyd Book traf als Nächster ein. Er brachte aus seinem Privatwagen einen Karton mit Büchern und Flugblättern mit und begrüßte Kristy mit einem freundlichen Nicken. “Ich wusste doch, wenn ich nicht früh genug herkomme, würdest du den Kaffee aufschütten”, zog er sie auf.
“Alles bereit für deine Pensionierung?”, fragte sie lachend, während sie Pappbecher und Tütchen mit Zucker und Milchpulver verteilte.
“Ja, nur
ich
nicht”, rief er aus dem Nebenraum, wo er die Bücher und Flugblätter für das anstehende Treffen der Anonymen Alkoholiker auslegte. In Stillwater Springs war niemand anonym, aber damit das sogenannte Programm abgespult werden konnte, tat jeder so, als würde er nichts davon mitbekommen, wer am Dienstagabend den Seiteneingang der Bibliothek benutzte. “Ich kann die Wahl kaum erwarten. Dann drücke ich meine Dienstmarke Jim Huntinghorse oder Mike Danvers in die Hand, und dann lasse ich diese Stadt hinter mir – jedenfalls für ein paar Wochen. Dorothy und ich sitzen schon in den Startlöchern für unsere Kreuzfahrt nach Alaska.”
“Na, bald ist es ja so weit”, meinte sie aufmunternd. Bis ihr Name gefallen war, hatte Kristy gar nicht bemerkt, dass Floyd seine Frau nicht mitgebracht hatte. “Kommt Dorothy nicht zu unserem Treffen? Sie hatte sich doch angemeldet.”
Seit einem Verkehrsunfall vor ein paar Jahren saß Dorothy Book im Rollstuhl, und es gab den einen oder anderen, der behauptete, sie sei nicht ganz richtig im Kopf. Kristy hatte Dorothy immer gut leiden können, und selbst wenn sie tatsächlich etwas anders sein sollte, hatte sie sich darauf gefreut, die Frau des Sheriffs beim ersten Treffen dabeizuhaben.
Floyd schüttelte den Kopf. In letzter Zeit wirkte er müde und abgekämpft, fast so wie Kristys Mutter, kurz bevor sie starb. Vielleicht lag es am allgemeinen Interesse an seiner bevorstehenden Pensionierung, am Stress, den sein Job mit sich brachte, oder am ungewissen Ausgang der Wahl. Auf jeden Fall kam er ihr angespannter vor als üblich.
“Es fällt ihr schwer, in den Wagen ein- und wieder auszusteigen”, erklärte der Sheriff. “Und sie kann das Theater mit dem Rollstuhl nicht ausstehen. Ich hoffe, die Kreuzfahrt bewirkt, dass sie wieder Farbe ins Gesicht bekommt und das Funkeln in ihre Augen zurückkehrt.”
Kristy hielt inne. Floyd Book war Sheriff eines ausgedehnten County, seit Kristy in die zweite Klasse gegangen war. Niemand außer ihm hatte in all den Jahren dieses Amt bekleidet. Bis ihr Dad nur ein halbes Jahr nach ihrer Mom starb, war Floyd regelmäßiger Gast auf der Madison-Ranch gewesen. Er und Kristys Vater waren beste Freunde gewesen. Sie angelten beide mit Begeisterung, ritten gern und kümmerten sich um die bescheidene Herde, die Tim Madison sich hatte leisten können.
Ein Stich ging Kristy durchs Herz. Am liebsten hätte sie Floyd ohne Umschweife gefragt, ob etwas nicht stimme und ob sie ihm irgendwie helfen könne. Offenbar war das ein Abend, an dem nur schmerzhafte Erinnerungen nach oben kamen.
“Alles in Ordnung?”, fragte Floyd und kam zügig zu ihr, um seine große Hand auf ihre Schulter zu legen. “Du warst einen Moment lang kreidebleich. Ich dachte schon, du wirst ohnmächtig.”
“Mir geht’s gut”, wehrte sie ab. Sie war auf einer Ranch in Montana aufgewachsen, und da erwartete man von ihr, so zu antworten.
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