Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
belästigen durch Erfolge (was immer sie dafür halten); mit der Zeit sind sie so gereizt, daß nicht einmal mein Mißerfolg sie in Ruhe läßt. Es gibt auch Verehrer. Ein alter Mann in Berlin gehört dazu; ich erfahre es durch seine Frau, die ihn nötigt, daß er sich vorstellt. Das Gesicht einer Schülerin auf der Straße; ich sehe, daß ich Lehrstoffbin, und sie schaut, als könne ich sie nicht sehen in ihrer blanken Verwunderung. Ferner gibt es Schmeichler; manche von ihnen verfolgen nicht einmal einen Zweck. Ferner gibt es Honoratioren, denen irgend etwas daran liegt, daß ich mich wohlfühle an der langen Tafel, und ihre Gattinnen. Etwas anderes: ein Sowjetbürger, ein jüngerer Mann, der 1968 auf dem Roten Platz demonstriert hat und den ich neulich in Gesellschaft zufällig getroffen habe, übermittelt Grüße aus einem sibirischen Arbeitslager, Dank im Namen von Insassen, die ich nie sehen werde; der unerwartete Gruß macht mich betroffen wie eine Mahnung, ein Auftrag, daß ich mich nicht fallen lasse. Ruhm? Im Gegensatz zum Erfolg macht er niemand neidisch. Es kommt zu keiner Schmeichelei; selbst wenn die Person es zuließe aus Verlegenheit, der Ruhm läßt Schmeichelei nicht zu. Ich denke an Begegnungen mit Beckett: es ist einfach mit ihm zu reden oder zu schweigen bei einem Schach, das Werk scheint ferne von ihm, zugleich ist er identisch damit. Auch kommt es nicht dazu, daß der andere sich geschmeichelt fühlt; da sitzt kein Star, auch keiner, der durch Allüren der Bescheidenheit sich zu verstecken sucht und dadurch verrät, daß er sich als Star sieht. Das gilt auch für den kleinen Ruhm. Es wird erwartet, daß einer nicht Ausschau hält nach Verständnis, geschweige denn nach Lob, oder wenn es erwartet wird, so erweist es sich als Irrtum. Er kann übrigens als Person enttäuschen, zum Beispiel indem er unglücklich ist. Kommt es zum Vorschein, daß er einen Teil seines Werkes oder das ganze widerruft, so ist das seine Sache; seine Selbstwertung ist für die andern nicht verbindlich; der Name, den er bei seiner Geburt bekommen und ein Leben lang als Unterschrift verwendet hat, bezeichnet eine öffentliche Wirkung und hat sich von der Person abgelöst. Das muß er lernen; wenn er es nicht lernt, so verletzt er sich unentwegt. Ruhm bewirkt nicht Einstellung der Kritik, nur wird erwartet, daß Kritik nicht mehr persönlich treffe, und das zu Recht, denn es wird Kritik nicht an einer Person und ihrer Arbeit, sondern am Ruhm. Die Gesellschaft braucht Berühmtheiten; wen sucht sie sich dafür aus? Kritik wird zur Kritik an der Gesellschaft.
LYNN
ihre Stimme, wenn er sie nicht hört, ist ihm gegenwärtiger als ihr Gesicht, wenn er es nicht sieht. Sie zieht die Vokale nicht nur in die amerikanische Länge, sondern in die Höhe. Sein Name, ausgesprochen mit ihrer Stimme,tönt hell, zum Schluß das kurze X wie auf Xylophon. Ihre Stimme kaut nicht. Keine gefühlige Stimme. Wie Töne von sehr straffen Saiten, dann ein Nachhall, der ihr einen Körper gibt. Es kommt vor, daß ihm im Augenblick ihre Stimme genügt.
Notizen im Flugzeug:
Es lohnt sich, einmal in der Ersten Klasse zu fliegen; neben mir ein jüngerer Fluggast, der, wie sich herausstellt beim Champagner, mit Bomben handelt./Ein ehrlicher Mensch ist einer, der etwas verlegen wird, wenn man ihm sagt, er sei ein ehrlicher Mensch./In Harvard eine amerikanische Germanistin, die über Ingeborg Bachmann arbeitet, das Werk und die Person; sie ist sehr dankbar für meine Hilfe: Angabe der römischen Adressen./In Cincinnati die Frage, wie es denn sei, wenn ein Schriftsteller mit seinen früheren Arbeiten konfrontiert wird. Ich weiß nicht, was ich darauf geantwortet habe – statt zu berichten von dem Maler, der in Anwesenheit seiner Frau gesagt hat: ACH DIESES ALTE ZEUG, DIESE SCHEISSE ! und später, als es um eine Ausstellung geht, eine Retrospektive, sagt sie, um seine Grübelei zu verkürzen: LASS DOCH DIESES ALTE ZEUG ! ohne zu merken, daß diese Bezeichnung, seine, ihr nicht zusteht; nämlich sie hat es nicht gemacht./Wenn man Amerikanern sagt: I AM A SOCIALIST , so verliert man ihre Achtung nicht, im Gegenteil, sie sind überzeugt, daß man eine Art von Star ist, der sich das leisten kann./Vom Flugzeug aus: es ist nicht glaubhaft, daß man auf dieser weiten Erde mit so vielen Siedlungen und Städten irgendwo vermißt wird. Das erzeugt eine leichte Euphorie. Steht man mit dieser Einsicht in dieser oder jener Stadt, so macht sie
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