Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
aber ich habe es lang nicht mehr getan. Es stört mich, daß es dann immer ein Plagiat wird, ein schwaches; indem ich es zeichne, verliere ich, was ich sehe.) Sie hat ihren Kopf zurückgelegt, das Gesicht nach der andern Seite hinüber, ihre Bluse etwas geöffnet, ihre beiden Hände in den Hosenschoß gelegt, die Knie hochgezogen; die Haut ihrer Füße und Waden ist bleich. Sie gibt sich der Sonne. Er sitzt aufrecht, seine Füße im Sand, meistens schaut er auf das nachmittägliche Meer. Ein dumpfes Poltern auf dem Grund, dazwischen hört man es zischen. Sie schläft nicht. Zu viel Wind. Sie hat ihren Kopf aufgerichtet und schaut irgendwohin. Als sie bemerkt, daß er sie anschaut, lacht sie.
MY LIFE AS A MAN :
wenn ich zufällig, in einem Konzert-Foyer zum Beispiel, die Mutter meiner Kinder sehe: ihr Gesicht, scheu mit einem Zug von Harm, der schon immer gewesen ist, ein gutes Gesicht, in den späten Jahren sogar offener, aber für immer ein Gesicht voll betroffener Unschuld – bin ich betroffen; ich sehe sie mit Hochachtung und verwundert, daß ich der Vater ihrer drei Kinder geworden bin.
DENN DU VERSTEHST SIE NICHT
die Mutter, 88, in Rom – sie will noch alles sehen, nämlich sie ist zum ersten Mal in Rom, sie ist unermüdlich. Sie schreibt sich alles auf, was sie von Tag zu Tag gesehen hat; das Heft endet mit dem Satz: ROM, ES WAR EINE GOTTVOLLE ZEIT ! in altertümlicher Kalligraphie. Drei Jahre später, in einem städtischen Altersheim, will sie sterben; sie will; sie ist unwirsch, daß die Ärze mit solchen Spritzen kommen. Im Zimmer liegen noch drei andere Frauen, die manchmal, wenn man eintritt, wie Sterbende aussehen: mit offenem Mund. Ohne Röcheln. Ohne jede Regung überhaupt. Manchmal ist sie wirr (weil ich grad aus Odessa komme, wo sie als junges Mädchen, 1901, Kapern pflückt) und dann wieder klar: Ich sterbe jetzt, sagt sie, ich danke euch. Es dauert aber noch ein halbes Jahr. Der Arzt, dem ich ihren Willen gesagt habe, erklärt es mir, warum es ohne Spritzen qualvoll wäre; ein Erstickungstod. Eines Tages, als ich sie wieder besuche, führt man mich ins Sterbezimmer. Drei Tage und Nächte lang lösen wir uns ab, mein Bruder und meine Schwester, die nicht ihr Kind ist, und ich. Ab und zu kann man mit ihr sprechen. Ihre Sorge: ob jemand darauf achte, daß meine Jacken in Ordnung sind. Ferner beschäftigt es sie, daß wir mit diesen Besuchen viel Zeit verlieren. Ich bin noch nie dabei gewesen, wenn ein Mensch stirbt. Zuweilen sieht es aus, als sei sie tot. Wenn man sie anredet, so wundert sie sich, daß wir noch immer da sind. Ein Pfarrer steht zur Verfügung. Ich weiß, wie sie sich geärgert hat über seine Ansprache zu Weihnachten; er soll gesagt haben: So hoffen wir denn, daß wir alle auch die nächsten Weihnachten zusammen verbringen können. Da es heißt, daß die Leute in ihren letzten Stunden oft anders denken, frage ich sie, ob sie den Pfarrer sehen möchte. Sie ist wach, sie hat die Frage verstanden, sie überlegt, und dann sagt sie: Wozu? Ein Mal, als ich mich wieder verabschiede, sage ich: Du bist eine schöne Frau. Sie findet diese Erklärung nicht unangemessen; sie fragt, warum wir denn nicht eine Fotografie machen. Eine Veränderung ihres Zustandes sieht auch der Arzt nicht, und einmal lasse ich meinen Abendbesuch aus; im Zunfthaus zur Meise (Zürich) liest ein Kollege aus seinem neuen Roman, ich habe die freundliche Einführung zu sprechen. Kein schwieriger Auftritt, aber ich zittere vor Lampenfieber, und die Nacht endet in einem kollegialen Besäufnis; am andern Morgen, als ich das Telegramm lese, erlaubt es mein Zustand nicht, mich einer Toten zu zeigen ...
HAPPY
das ist genau das Wort:
FUN
zu sehen, was grad da ist:
MONTAUK BEACH
Ich habe nie einen ernsthaften Versuch unternommen, meinem Leben ein Ende zu machen; auch keinen unernsthaften. Ich habe nur oft, in jedem Lebensalter, dran gedacht. Wie ein Experte sehe ich da und dort die praktischen Möglichkeiten. Ich sehe einen Balken, der sich eignen würde. In einem Hochhaus kommt fast jedermann auf den Gedanken; hier wäre es ein einfaches und sicheres Unternehmen. Ich habe keinen Revolver im Haus, da ich nicht immer ein besonnener Mensch bin, und Freitod hätte ein besonnener Akt zu sein. Ich habe eine Bergstraße daraufhin besichtigt und kenne mindestens drei Stellen, wo kein Geländer ist, das wider Erwarten vielleicht standhielte, und wo es, vor allem bei Nebel, wie ein Unfall
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