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Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Montauk: Eine Erzählung (German Edition)

Titel: Montauk: Eine Erzählung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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aussehen könnte. Die Bereitschaft dazu ist nicht selten, eine nüchterne Bereitschaft ohne vermeintlichen Anlaß.
     
    LYNN :
     
    sie hat von ihrer Arbeit erzählt, Lohnarbeit, er hat zugehört, nein, durchaus nicht zerstreut; wenn er etwas nicht versteht, so fragt er meistens. Er versteht sie leichter, wenn er auf ihren Mund schaut. Sie hat ein Buch über Delphine gelesen; Lynn weiß über Delphine mehr als er. Dann wieder kommt es vor, daß sie plötzlich nicht wissen, was reden – dieses Beisammensein tagsüber: nicht langweilig, nur sehe ich dann beide von außen: sie werden einander nicht kennenlernen ... Es ist immer noch die Küste, die Brandung vielleicht etwas näher als vor zwei Stunden, weder stärker noch schwächer. Die Sonne steht noch immer hoch am Horizont. Es ist jetzt angenehm, weniger heiß. Das Meer jenseits des weißen Gischtes auf den Wogen, die erst kurz vor dem Strand in sich zusammenbrechen, erscheint jetzt wie Tinte blauschwarz. Das stetige Geräusch der Brandung. Die beiden Hände unter dem Nacken gefaltet, um den Kopf etwas zu heben, um den scharfen Horizont zu sehen, schweigt er nicht; er verschweigtnur, was ihn betrifft. Keine Tragödie. Alles verständlich, sogar selbstverständlich. Und richtig. Und er hat es vorausgesehen; jedermann hat es vorausgesehen. Es bleibt noch, daß er es jetzt annimmt. Ohne Beschwerde. Und das kann man, die Hände unter dem Nacken gefaltet, um den Kopf etwas zu heben –
     
    An wen denkt Lynn?
     
    Neulich hat sie ihre Kette vermißt. Zum Glück wischen die schwarzen Zimmermädchen in jenem Hotel nicht unter den Betten. Der Kette, einer goldenen, ist nicht anzusehen, warum sie unersetzbar wäre. Als er sie dann gefunden hat – nicht in der Garderobe, nicht auf dem Tisch, nicht auf dem gelben Sofa – hat er sofort in ihrem Office angerufen. Ihr Aufatmen am Hörer. Das wäre nicht der Ort gewesen, um diese Kette zu verlieren ... Zum Abendessen erscheint Lynn in einem andern Kleid, das ihn weniger überzeugt; dazu wieder die dünne Brille. Ihr Haar geknotet. Die Bedienerin, die seinen Gruß nicht abnimmt, gießt Wasser mit Eisklötzen in die beiden Gläser. Die Leute ringsum: Gutverdiener hemdärmlig, wenig junge Leute. ( TOO EXPENSIVE , sagt Lynn) und dafür viele gestandene Paare, die kaum je ein Wort miteinander wechseln, und Familien laut wie zu Hause. Sonnenuntergang für alle. Eine Hochzeitsgesellschaft. Auch Lynn und er können zuweilen schweigen. Die Anzahl der Personen, die sie gemeinsam kennen, ist gering, Klatsch kaum möglich. Es gibt Lobster. Wie man mit den Zangen umzugehen hat, Lynn nimmt an, daß er’s vorführen kann. Sie überschätzt ihn. Einiges an seiner Person befremdet sie, das sieht er. Wenn er (bevor der Wein da ist) zu reden beginnt, nimmt sie aber an, es könnte sie interessieren, und unterbricht ihn nicht schon im ersten Satz. Jetzt kostet er den Wein, nickt. Davon versteht er etwas. Ob sie ihm ins Wort fällt und wie oft, vermerkt er nicht. Die erste Schere ihres Lobsters ist geknackt, Lynn kann es besser als er. Wenn sie fragt, was er denn damit meine, so scheint sie nicht auszuschließen, daß eine längere Ausführung von ihm (in seinem Englisch) sie überzeugen könnte. Er sagt Dinge, die ihn überraschen. Das macht ihn heiter. Es erleichtert ihn auch, wie belehrbar er sein kann. Übrigens trinken sie wenig. Lynn stochert in ihrem Lobster, aber nicht um wegzuhören. Natürlich interessiert sie nicht alles, was ihm in den Sinn kommt (zum Beispiel über Architektur). So viel, wie man zuerst meint, ist nicht an einem Lobster; das rote Gehülse auf demTeller ein schöner Anblick, Lynn für einen Nachtisch bereit. Ergibt sich ein Einverständnis, so glänzt es; es riecht nicht nach einem sauer-vernünftigen Abkommen; es läßt sich weiterreden, obschon man einverstanden ist. Die junge Bedienerin, eine Studentin vermutlich, behandelt sie beim Nachtisch als ein besonderes Paar, tut, als habe sie Anteil an einer Art von Fest. Keine Zärtlichkeiten bei Tisch; sie sind nur ein Paar ohne die Mienen verhohlener Antipathie, ohne die kurzen Blicke, die der Partner nicht merken soll, wenn sie ihn von der Seite treffen, diese Blicke, wenn es für beide kein Geheimnis mehr ist, ihr tiefes Verbundensein ohne Wohlgefallen.
     
    CENTRAL PARK
     
    heute vor einer Woche: – sie liegen nicht im Gras umschlungen wie die andern Paare, sondern sie sitzen. Wenn Lynn nicht arbeiten müßte, könnte man ans Meer fahren; Lynn weiß, wo es schön

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