Montauk: Eine Erzählung (German Edition)
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ein weites und kahles und gegen Abend violettes Hochtal in Mexico, mitten in diesem Tal ein Berg, ein natürlicher Thron; oben die Akropolis der Zapoteken, eine weite und umfängliche Tempelstätte in strenger Geometrie, ein Platz mit einer hohen Mauer für das heilige Ballspiel: der Sieger muß sterben, denn die Götter haben im Ballspiel offenbart, wen sie auszeichnen, und so wird er, der Sieger, den Göttern geopfert. So wenigstens lehrt es ein kleines Buch, das ich zur Hand habe. Es erschreckt, es überzeugt; anderes begeistert, ohne zu erschrecken: daß die Maya (wenn’s stimmt, was im Buch steht) von Zeit zu Zeit ihr ganzes Geschirr zertrümmert haben, um es herzustellen von Neuem, ihr Geschirr für den Alltag; daß sie ihre Tempelstätten haben verlassen müssen auf Gebot der Priester, um weiterzuziehen und im Dschungel ( YUCATAN, GUATEMALA ) sich zu erneuern, und sie haben die alten Tempelstätten nicht einmal zerstören müssen, um anderswo zu beginnen; sie haben sie dem Dschungel überlassen ( PALENQUE ) und der natürlichen Verwitterung ... Vielleicht stimmt es auch nicht, was mich begeistert ... MONTE ALBAN : hier auf einem Gemäuersitzt Marianne, Jahrgang 1939, stud. phil., erschreckt von meiner Bitte; ich traue mir den Mut zu, Einsicht zu haben, wenn ich zu alt geworden bin für sie. Zwei Jahre? Drei Jahre? Sie zögert weislich. Sie kommt nach Rom und zögert einen Sommer lang. Später ein ländliches Haus, gemeinsam eine kleine Wohnung in Zürich, dann eine andere, eine große, Reisen zusammen, es werden neun Jahre, länger als sie je gedacht haben.
ICH HABE NICHT MIT DIR GELEBT ALS LITERARISCHES MATERIAL, ICH VERBIETE ES, DASS DU üBER MICH SCHREIBST.
Wenn er sieht, wie sie jetzt durch den Sand stapft, dort wo der Sand trocken und locker ist, langsamer also und mühsam, etwas erschöpft vom langen Lauf und mit schlenkernden Armen, da die Beine nicht mehr schlenkern können, und wie sie manchmal im Stapfen vornüber knickt, wenn ein Fuß einsinkt, dann wieder das rote Haar über diese oder die andere Schulter zurückwirft, so sieht er sie mit Wohlgefallen. Sie weiß es vermutlich; sie schaut jetzt irgendwohin. Wenn sie im Sessel nebenan liegt, so denkt er anderswohin. Wenn sie die hölzerne Treppe zum hölzernen Hotel hinaufgeht, schaut er ihr nicht nach; er kann es sich vorstellen, wie sie die Arme bewegt, Grazie nicht ohne Komik. Er kann sie auch vergessen, zum Beispiel wenn er mit Leuten ist. Er sieht sie mit Wohlgefallen, wenn sie speist; dieser ungeile Appetit der Hageren. Wenn sie nicht da ist, kann er sich an ihr Lachen nur ungenau erinnern; ihr nächstes Lachen hört er mit Wohlgefallen. In der Stadt, wenn sie ihn noch nicht erkannt hat und die Straße überquert, Lynn als Passantin unter vielen andern: die Art, wie sie ihre dünnen Arme bewegt, wie sie zögert und sich im Gedränge durchsetzt, wie sie den Kopf bewegt. Er ist nicht verliebt. Er freut sich. Wenn sie die hölzerne Treppe herunter kommt von dem hölzernen Hotel, denkt er nicht an die Nacht; er sieht ihr Hüpfen auf der Treppe, dann beinahe Stolpern (wenn es nicht das hölzerne Geländer gäbe, wo sie sich grad noch halten kann) mit Wohlgefallen.
Ein langer leichter Nachmittag.
Langsam müßte er’s wissen: Lynn ist in Florida geboren, nicht in Kalifornien. College in Kalifornien. Die kurze Ehe hat stattgefunden in Sidney – sie wirft Sand, wenn er eine Frage gestellt hat, die er kein zweites Mal hättestellen dürfen. Wo ihr geschiedener Mann heute lebt, weiß Lynn nicht. Sie wirft immer noch Sand; nicht gegen ihn, sondern einfach so. Ihre Zukunft? Sie wird noch einmal heiraten, meint Lynn, jedoch vorsichtig – und ein Kind vielleicht, eines ... Sie erzählt nicht viel, er ja auch nicht, sie reden:
DO YOU BELIEVE
WHAT DO YOU THINK
zum Beispiel über Richard Nixon. Er müsse vor Gericht gestellt werden, meint Lynn. Es ist windig, und vielleicht liegt es daran, daß sie nie lang bei einem Thema bleiben; der Wind hat ihre beiden Schuhe mit Sand gefüllt. Ich weiß nicht, wie er auf Baudelaire kommt, FLEURS DU MAL , Lynn kennt sie nicht. Um ihre Frage zu beantworten: Ich habe nie Gedichte veröffentlicht. Sie bleiben bei öffentlichen Themen. Drogen? Auch Lynn hat da keine große Erfahrung. Sein Englisch ist bescheiden; ich weiß natürlich, was er jeweils sagen möchte. Kommt es vor, daß er nicht übersetzt, sondern in Englisch aussagt, was man so nicht sagen könnte in Schriftdeutsch
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