Montgomery & Stapleton 04 - Der Experte
weiterverkauft hatte. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sich der Anthraxerreger verbreiten können – und wir hätten es womöglich mit einer kleinen Epidemie zu tun bekommen.«
»Dr. Abelard hat vollkommen recht«, schäumte Bingham. »Sich darum zu kümmern ist sein Job – und nicht Ihrer!«
»Wir Gerichtsmediziner haben die Öffentlichkeit zu schützen«, widersprach Jack. »Und ich habe stark den Eindruck, daß Dr. Abelard nicht gewillt war, sich um besagte Risikoquelle zu kümmern. Er hat die Situation nicht gebührend ernst genommen.«
»Wenn Sie diesen Eindruck bei einem Kollegen haben, der dem öffentlichen Dienst angehört, kommen Sie gefälligst zu mir!« brüllte Bingham. »Statt wie von der Tarantel gestochen loszurennen und eigenwillig den Epidemiologie-Detective zu spielen. Ich hätte bloß Dr. Markham anrufen müssen. Als Gesundheitsbeauftragte ist sie sehr wohl imstande, die verantwortlichen Leute erforderlichenfalls von ihren fetten Ärschen hochzuscheuchen. So hat das System zu funktionieren – und nicht anders!«
»Ist ja schon gut«, gab Jack nach und schlug ein Bein über das andere. Aus Rücksicht auf Cheryl würde er diesmal keinen Streit über bürokratische Ineffizienz und die häufig anzutreffende Unfähigkeit öffentlicher Bediensteter vom Zaun brechen. Dabei hatte er schon allzuoft die Erfahrung gemacht, daß wichtige Dinge unerledigt blieben, wenn er nicht selbst die Initiative ergriff.
»Okay«, grummelte Bingham mit einer abwinkenden Handbewegung. »Dann verschwinden Sie jetzt!« In Gedanken war er schon bei dem nächsten Problem, das er anzugehen hatte.
Jack stand auf und verließ das Büro seines Chefs. An Cheryls Tisch hielt er kurz an. »Na, wie war ich heute?«
»Um ehrlich zu sein – mittelmäßig«, erwiderte Cheryl mit einem trockenen Lächeln. »Aber da Sie ihn normalerweise so auf die Palme bringen, daß er fast eine Herzattacke bekommt, würde ich sagen, Sie machen Fortschritte.«
Jack winkte zum Abschied und machte sich auf den Weg. Doch er kam nicht weit. Dr. Washington erblickte ihn durch seine offenstehende Bürotür.
»Wie kommen Sie mit dem Fall Jefferson voran?« rief er ihm zu.
Jack lugte durch die Tür. »Ich habe noch keine Ergebnisse aus dem Labor. Haben Sie John DeVries aus der Toxikologie angerufen und ihm Dampf gemacht?«
»Sofort nachdem ich mit Ihnen gesprochen hatte«, versicherte Dr. Washington.
»Dann gehe ich jetzt rauf«, verkündete Jack. »Vielleicht hat er ja etwas für mich.«
»Ich will, daß der Fall bis Donnerstag erledigt ist«, mahnte Dr. Washington. »Vergessen Sie das nicht!«
Jack reckte dem stellvertretenden Institutsleiter den Daumen entgegen, obwohl er Zweifel hatte, ob er ihm den Wunsch würde erfüllen können. Es war unwahrscheinlich, daß die Werte aus den verschiedenen Labors bis dahin vorlagen; aber im Augenblick bestand kein Anlaß, Bedenken zu äußern. Pflichtbewußt nahm er den Fahrstuhl hinauf in den dritten Stock. Es konnte ja ein Wunder geschehen sein.
Er entdeckte John DeVries in seinem winzigen fensterlosen Kämmerchen und sprach ihn auf die Proben des im Gefängnis verstorbenen Häftlings an, woraufhin John zu einer leidenschaftlichen Wehklage über seine Schwierigkeiten bei der Finanzierung von notwendigem Equipment für die Toxikologie anhob. Als Jack das Labor verließ, war er sich sicherer denn je, daß er den Fall am Donnerstag nicht abgeschlossen haben würde.
Bekümmert stieg er die Treppe hinauf in den fünften Stock und betrat das DNA-Labor. Ted Lynch, der Leiter dieses Laborbereichs, stand zusammen mit einem seiner Assistenten vor einer der High-tech-Anlagen. Auf dem Tisch lag ein geöffnetes Bedienungshandbuch. Offenbar funktionierte die Anlage nicht.
»Ah, da kommt ja der Mann, mit dem ich sprechen wollte«, rief Ted, als er Jack erblickte. Er richtete sich auf und streckte sich. Ted war ziemlich groß; er blickte auf eine Karriere als Fußballstar an einer Eliteuniversität der Ostküste zurück.
Jetzt strahlte Jack. »Soll das heißen, Sie haben positive Ergebnisse für mich?«
»Richtig«, erwiderte Ted. »Eine der Proben, die Sie mir vorbeigebracht haben, enthielt Anthraxsporen.«
»Das gibt’s doch gar nicht!« staunte Jack. Er war wie vom Donner gerührt. Obwohl er keine Mühe gescheut hatte, so viele Oberflächenproben wie möglich zusammenzutragen, hatte er nicht ernsthaft mit einem positiven Ergebnis gerechnet. »Wissen Sie vielleicht auch noch, welche der Proben positiv
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