Montgomery & Stapleton 07 - Die Seuche Gottes
letztendlich die Oberhand über seine Unsicherheit und die mit diesem Schritt verbundenen Risiken.
Bemerkenswerterweise hatten sich die Dinge bei »Angels Healthcare LCC« dank der unternehmerischen Begabung von Dr. Angela Dawson ganz nach Plan entwickelt. Pauls Aktien, Optionsscheine und Vorkaufsrechte würden ihn bereits in wenigen Wochen zu einem reichen Mann machen, genauso wie die anderen Unternehmensgründer, die Großinvestoren und – in etwas kleinerem Umfang – die über fünfhundert Ärzte, die ebenfalls eigene Anteile besaßen. Der Börsengang des Unternehmens stand unmittelbar bevor, und dank einer ganzen Reihe unglaublich erfolgreicher Präsentations-Veranstaltungen, die vielen institutionellen Anlegern den Mund wässerig gemacht hatten, konnte man davon ausgehen, dass sich der Ausgabekurs der Aktien am oberen Limit der allgemeinen Erwartungen bewegen würde.
Angesichts der 500 Millionen Dollar, die in der ersten Runde erzielt würden, hätte Paul eigentlich auf Wolke sieben schweben müssen. Tat er aber nicht. Vielmehr hatte er mehr Angst als jemals zuvor in seinem Leben, ausgelöst durch ein ethisch-moralisches Dilemma von epischen Ausmaßen und zusätzlich verstärkt durch etliche Bilanzfälschungsskandale bei Großunternehmen wie zum Beispiel den Enron-Skandal, der die Finanzwelt während der letzten sechs, sieben Jahre heftig erschüttert hatte. Die Tatsache, dass er keinerlei Manipulationen an den Büchern vorgenommen hatte, war ihm kein Trost. Er brachte den allgemein gültigen »Vorschriften für Rechnungslegung und Buchführung« eine beinahe religiöse Verehrung entgegen und war sich sicher, dass seine Bücher bis auf den letzten Cent stimmten. Das Problem war, dass er sie außer den Unternehmensgründern niemandem zeigen wollte, eben deshalb, weil sie so genau stimmten und daher ganz eindeutig ein schwerwiegendes Defizit auf der Einnahmen-Seite dokumentierten. Das Problem hatte vor dreieinhalb Monaten angefangen, kurz nach dem Abschluss der unabhängigen Unternehmensprüfung für den Börsenprospekt. Was zunächst als kleines Rinnsal begonnen hatte, war sehr schnell zu einem reißenden Strom geworden. Pauls Dilemma bestand darin, dass er den Fehlbetrag eigentlich nicht nur seinem Finanzdirektor melden musste, was er selbstverständlich getan hatte, sondern auch der Securities and Exchange Commission (SEC), also der US-amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde. Die Schwierigkeit, auf die der Finanzdirektor ihn unverzüglich aufmerksam gemacht hatte, bestand darin, dass ein solcher Bericht zweifellos das Ende des Börsengangs bedeuten würde. Damit wären auch all ihre gemeinsamen Bemühungen während der vergangenen knapp zwölf Monate zunichtegemacht, ja, womöglich würde das ganze Unternehmen daran zugrunde gehen. Der Finanzdirektor und sogar Dr. Dawson persönlich hatten Paul deutlich gemacht, dass der unerwartete Engpass nur ein vorübergehendes und eindeutig zeitlich begrenztes Phänomen war, da man bereits alle notwendigen Maßnahmen getroffen hatte, um die Ursache zu bekämpfen.
Obwohl Paul davon ausging, dass all diese Worte auch der Wahrheit entsprachen, war ihm klar, dass er dadurch, dass er diesen Bericht zurückhielt, gegen das Gesetz verstieß. Dass er sich nun gezwungen sah, sich zwischen seinem natürlichen moralischen Gewissen auf der einen und einer Mischung aus persönlichem Ehrgeiz und dem unstillbaren Verlangen seiner Familie nach Bargeld auf der anderen Seite zu entscheiden, machte ihn fast wahnsinnig. Eine konkrete Auswirkung dieses Konfliktes war, dass er wieder angefangen hatte zu trinken. Eigentlich hatte er sein Alkoholproblem schon vor Jahren überwunden, doch durch die gegenwärtige Situation war es wieder zum Leben erweckt worden. Allerdings war er guten Mutes, seinen Alkoholkonsum halbwegs im Griff zu behalten, da er sich auf einige Cocktails beschränkte, bevor er sich mit dem Vorortzug auf die Heimfahrt nach New Jersey begab. Es war weder zu nächtlichen Saufgelagen noch zu Partys mit Halbweltdamen gekommen, die ihm in der Vergangenheit Probleme bereitet hatten.
Am Abend des 2. April 2007 kehrte er in einer Bar auf dem Weg zum Bahnhof ein. Während er an seinem dritten Wodka-Martini nippte und sich selbst in dem rauchgeschwärzten Spiegel hinter der Theke betrachtete, fällte er spontan den Entschluss, den erforderlichen Bericht an die Börsenaufsicht morgen abzuschicken. Seit Tagen hatte er seine Meinung immer wieder geändert, aber jetzt dachte er, dass er
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