Monuments Men
der Sohn eines der ersten Partner der Investmentbank Goldman Sachs (deren Gründer Marcus Goldman war sein Großvater mütterlicherseits) und der wichtigste Verbindungsmann zwischen der Museumsgemeinde und den reichen jüdischen Bankiers in New York. Zudem war er der bedeutendste Ausbilder der Museumsszene. Im Jahr 1921 hatte Sachs in Harvard seinen Kurs »Museum Work and Museum Problems« eingerichtet, das erste akademische Ausbildungsprogramm, das darauf zielte, Männer und Frauen zu Museumsdirektoren und Kuratoren auszubilden. Neben der Vermittlung von Kunstkenntnissen wurden in diesem »Museum Course« auch finanzielle und administrative Aspekte der Leitung eines Museums behandelt, insbesondere die Beschaffung von Spenden. Die Studenten trafen sich regelmäßig mit Kunstsammlern, Bankiers und der gesellschaftlichen Elite Amerikas, häufig auf exquisiten Banketten, bei denen sie in formeller Kleidung erscheinen und die in den gehobenen Kreisen geltenden Benimmregeln befolgen mussten. Ab 1941 übernahmen Sachs’ Studenten allmählich Führungspositionen in den amerikanischen Museen, die sie in der Nachkriegszeit schließlich dominieren sollten.
Weil er ein kleiner Mann war, nur knapp 1,60 Meter groß, hängte Sachs die Bilder an den Wänden relativ weit unten auf. Als die amerikanischen Museen nach dem Krieg international bekannt wurden, ließen viele ihrer Direktoren die Bilder niedriger aufhängen als in den europäischen Museen. Sachs’ Schüler hatten dies schlicht als Norm akzeptiert, und die übrigen Museen folgten ihrem Beispiel.
Auf Drängen von George Stout, des gewieften Direktors des Fogg, beschäftigte sich Sachs eingehender mit der Situation der europäischen Museumsgemeinde. Zusammen mit anderen Mitarbeitern hatten die beiden Männer am Fogg eine kleine Dia-Präsentation erarbeitet, um deren missliche Verfassung darzustellen. Am Nachmittag des ersten Versammlungstages, als die Deckenbeleuchtung gedämpft wurde und Stouts Diashow über die Wand flimmerte, wurde den Direktoren der großen amerikanischen Museen auf schockierende Weise vermittelt, wie sehr der Vormarsch der deutschen Wehrmacht der Kunst zugesetzt hatte. Die englische Nationalgalerie in London war praktisch leer und verlassen, ihre großen Werke waren in Manod versteckt. Die Tate Gallery war voller Glasscherben. Das Hauptschiff der Kathedrale von Canterbury war mit Schutt gefüllt worden, um die Detonationswellen zu absorbieren. Auf Dias des Rijksmuseums in Amsterdam, des berühmtesten nationalen Museums der Niederlande, sah man, wie die Bilder der großen holländischen Meister wie Klappstühle an der Wand aufgestapelt waren. Das vielleicht berühmteste Bild dieses Museums, Rembrandts monumentales Gemälde Die Nachtwache, war wie ein Teppich zusammengerollt und in eine Kiste gepackt worden, die wie ein Sarg aussah. In der Grande Galerie des Louvre in Paris, die durch ihre Größe und ihre Erhabenheit an einen Bahnhof des Goldenen Zeitalters erinnert, gab es nur noch ein paar leere Bilderrahmen.
Diese Bilder riefen auch noch andere Erinnerungen wach: Erinnerungen an die geraubten polnischen Meisterwerke, die seit Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte; an die Auslöschung des historischen Stadtzentrums von Rotterdam, das von der deutschen Luftwaffe zerstört worden war, weil die Friedensverhandlungen mit Holland nach den Vorstellungen der Nazis zu langsam vorangingen; an die jüdischen Wiener Großbürger, die eingekerkert worden waren, bis sie sich bereitfanden, ihren persönlichen Kunstbesitz Deutschland zu übereignen; an Michelangelos David, der von besorgten italienischen Beamten mit Ziegeln eingemauert worden war, obwohl er in einer weltberühmten Galerie im Herzen von Florenz stand. Dann gab es noch das russische Staatsmuseum, die Eremitage. Deren Kuratoren war es gelungen, 1,2 Millionen seiner geschätzten mehr als zwei Millionen Exponate nach Sibirien in Sicherheit zu bringen, bevor die Wehrmacht die Bahnverbindungen unterbrach, die aus Leningrad hinausführten. Man munkelte, dass sich die Kuratoren mit den verbliebenen Werken im Keller des Gebäudes aufhielten und Schmalz und sogar Kerzen aßen, um nicht zu verhungern.
Die Präsentation von Paul Sachs erzielte die gewünschte Wirkung: Sie führte dazu, dass die Museumsgemeinde ihre Kräfte bündelte. Am Abend gelangten die Anwesenden einhellig zu der Überzeugung, dass die amerikanischen Museen so lange wie möglich offen gehalten werden sollten. Zurückweichen oder
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