Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
Vom Netzwerk:
Gesetzeshüter erklären? Erklären, woher er wußte, daß es hier auf ihn wartete, nur hier, und daß die Vision eines gigantischen, mondhellen, silbrigen Sees in seinem Kopf entstanden war gleich einer schnell auflaufenden Flut und daß es hier war, wo sich alles auflösen würde? Solche Dinge konnten nicht erklärt oder logisch begreifbar gemacht werden; man konnte sie nur gefühlsmäßig erfassen oder einfach Vertrauen haben und daran glauben. Nur wenige hatten dieses Vertrauen. Er selbst hatte es den größten Teil seines Lebens nicht gehabt.
    Inzwischen hatte er den nachlässig angelegten Parkplatz abseits der schmalen Straße überquert. Für einen Augenblick versuchte er dem Lauf der Straße mit den Blicken zu folgen: wie sie sich um den Stausee herumschlängelte und schließlich in das Tal unterhalb der Dammauer hinabführte. Doch die Schatten verschluckten die Straße. Childes stieg die breiten Steinstufen zur Staumauer hinauf und blieb stehen. Er starrte den weiten, schmalen Steg entlang, der zu beiden Seiten von dicken, hüfthohen Brustwehren gesäumt wurde. Der mittlere Bereich der Mauer war erhöht; darunter, von seinem Standort aus unsichtbar, verliefen die Überlaufröhren -Sicherheitsvorkehrungen für den Fall, daß lange Regenfälle den Stausee gefährlich anschwellen ließen. Stämmige Betonpfeiler verstärkten die Brüstungen in regelmäßigen Abständen, und dort, wo Touristen ihren Stausee-Besuch verewigt hatten, milderten verrückte Graffiti die Monotonie der Betonmauern. In den weit auseinanderliegenden parallelen Fugen im Belag des Steges wucherten Grasbüschel, die nun als dunkle Flecken in der Nacht erschienen. Hinter dem erhöhten Mittelteil ragte der Wasserturm empor - achteckig und Teil der Dammkonstruktion. Aus diesem Reservoir bediente sich die Pumpstation am Fuße der riesigen Staumauer.
    Childes ging los. Ein Windhauch zerzauste seine Haare. Hier draußen, auf dem Damm, fühlte er sich wie eine wandelnde Zielscheibe, und deshalb behielt er den Weg vor sich sehr aufmerksam im Auge. Das Mondlicht veränderte alles. Es durchtränkte das Normale und machte es zu etwas Künstlichem, Unnatürlichem, Farblosem. Der See tief unten hätte leicht aus geriffeltem Aluminiumblech bestehen können, so glatt und fest erschien seine Oberfläche, und doch war das gigantische
    Wasservolumen unter dieser lichtabweisenden Haut unheilverkündend nah. Ein Sturz dort hinunter bedeutete, hinabgesogen zu werden in eine lichtlose Unterwelt, zerschmettert zu werden, nicht, zu ertrinken.
    Er zählte die schmalen Stufen, als er zur Brückenkonstruktion über den Überlaufbögen hinaufstieg. In der Mitte angekommen, wartete er, einsam und ängstlich -und doch entschlossen.
    Von diesem hohen Standort aus konnte er das Meer hören und sogar die dünne, weißliche Gischt, die sich Welle um Welle an der fernen Küste brach, ausmachen. So klar war die Luft in dieser Nacht. Schneidige Kälte streichelte sein Gesicht, als er über die Mauerbrüstung auf der ungestauten Seite hinwegblickte. Tief unten, am Fuß der Staumauer, krümmte sich der Damm nach außen: ein Auffangbecken (ebenfalls aus Beton) schloß sich nahtlos an; von dort ausgehend verlief eine unterirdische Leitung zum Meer. Dorthin wurden die überschüssigen Wassermengen abgepumpt. Der helle Bau der Pumpstation lag nicht weit vom Auffangbecken entfernt, und dahinter gab es noch einmal eine glänzende, wie betoniert aussehende Fläche: das Schlammbecken der Kläranlage. Weiter draußen im Tal glommen vereinzelte Lichter, hell erleuchtete Fenster von Häusern, deren Bewohner um diese Zeit noch wach waren. Childes beneidete sie um ihre Ahnungslosigkeit.
    Ein Tier schwang sich dunkel durch sein Blickfeld, zu sprunghaft für einen Vogel; also eine Fledermaus, die im Einklang mit der Nacht umherschwebte und abrupt wieder in den behütenden Schatten verschwand. Das leise Schlagen ihrer Flügel war dem unregelmäßigen Flattern eines ängstlichen Herzens sehr ähnlich gewesen.
    Childes blieb stehen. Sein Gesicht war eine bleiche, konturenlose Maske unter dem hellen Glanz des Mondlichts. Und nun kehrten die Visionen zurück, brachen in seine Gedanken ein, bestürmten ihn mit neuer Intensität. Nicht zum ersten Mal wunderte er sich über die Boshaf-tigkeit, die den anderen Geist beherrschte. Für Childes waren die letzten Tage erfüllt gewesen mit äußerster geistiger Konzentration, und allein seine zunehmende Annahme dieser seiner einzigartigen Macht hatte ihm die

Weitere Kostenlose Bücher