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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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bleiben mir noch mindestens dreißig Minuten.«
    »Also eine kurze Fahrt, irgendwohin, wo es ruhig ist.«
    Er gab sie frei, als Schritte im Gang hallten. Sie wandten sich der Treppe zu, die zum Hauptportal hinabführte, und schwiegen, bis sie draußen waren. Die Sonne wärmte sie; nach der Kühle im Schulinnern war es ein angenehmes Gefühl.
    »Wo hast du gestern gesteckt?« fragte Amy. »Ich habe den ganzen Tag versucht, dich zu erreichen.«
    »Ich dachte, du zeigst Edouard Vigiers die Insel?« Da war keine Kritik in seiner Stimme.
    »Das hab' ich auch, ungefähr eine Stunde lang. Aber er hat verstanden, daß ich mir um dich Sorgen mache, und hat vorgeschlagen, daß wir abkürzen. Ich war keine sonderlich gute Gesellschafterin, fürchte ich.« Sie gingen zum Parkplatz. »Ich war bei dir draußen, aber das Haus war leer; keine Spur von dir. Ich war so beunruhigt.«
    »Es tut mir leid, Amy, ich hätte daran denken sollen. Ich mußte einfach raus, ich konnte nicht in meinen vier Wänden bleiben.«
    »Wegen dem, was beim Abendessen passiert ist?«
    Er nickte. »Damit habe ich mir die große Liebe deines Vaters wohl endgültig verscherzt?«
    »Es ist unwichtig. Ich will den Grund wissen, Jon.« Sie nahm seinen Arm.
    »Alles fängt wieder von vorne an, Amy. Ich wußte es schon damals, am Strand... es war dasselbe Gefühl, als wäre ich irgendwo anders... ich konnte etwas passieren sehen, aber... ich hatte keinen Einfluß darauf.«
    Sie waren bei seinem Wagen angekommen, und er holte die Wagenschlüssel heraus; Amy sah, wie sehr er zitterte. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich fahre«, schlug sie vor.
    Er schloß auf und warf ihr die Schlüssel zu. Sie ließen die Schule hinter sich und fuhren über einen kurvigen
    Feldweg zur Küste. Gelegentlich warf sie ihm einen raschen Seitenblick zu, und bald hatte sich seine Spannung auch auf sie übertragen; sie fuhr unkonzentriert. Dann hielten sie auf einer Lichtung mit Blick auf eine kleine Bucht, und das Meer tief unten war von einem funkelnden Blau, das stellenweise grün gefleckt war. Sie hatten die Wagenfenster heruntergekurbelt, und das leise Rauschen der Brandung auf dem Kiesstrand klang wie eine sanfte Melodie. Weit draußen zog eine Fähre durch die ruhigen Gewässer zum Haupthafen an der Ostseite der Insel.
    Childes schien ihr gemächliches Vorwärtstuckern zu beobachten, aber sein Blick war ganz woanders. Unwillkürlich streckte Amy die Hand aus und drehte sein Gesicht zu sich her. »Wir sind hier, um miteinander zu reden, denk dran«, erinnerte sie ihn, »Erzähl mir, was am Samstag los war... bitte.«
    »Ich kann's sogar ganz perfekt machen«, sagte er. »Ich kann es dir zeigen.« Er holte die Zeitung vom Rücksitz und faltete sie vor ihr auseinander. »Da. Lies das« murmelte er und zeigte auf die Schlagzeile.
    »KINDERGRAB GESCHÄNDET«, sagte sie laut, doch den Rest las sie stumm, ungläubig. »O Jon, das ist ja entsetzlich. Wer könnte so etwas tun? Den Leichnam eines Kindes zerstückeln, zu...« Sie schüttelte sich und wandte das Gesicht von der aufgeschlagenen Zeitungsseite ab. »Es ist so scheußlich.«
    »Es ist das, was ich gesehen habe, Amy.«
    Sie starrte ihn fassungslos an. Ihre blonden Haare lockten sich sanft über ihrer linken Schulter.
    »Ich war dabei, ich war da... am Grab, ganz nah. Ich hab' gesehen, wie der Körper aufgerissen worden ist. Ich... ich war irgendwie Teil davon.«
    »Nein, du würdest niemals...«
    Er packte ihren Arm. »Ich habe alles gesehen! Ich... ich habe den Verstand der Person berührt, die das getan hat.«
    »Wie?« Die Frage zitterte in der Luft.
    »Wie früher. Genau wie früher. Das Gefühl, in der Person zu sein, alles durch ihre Augen zu sehen... Aber ich habe nichts damit zu tun. Ich bin nicht beteiligt. Ich habe keinen Einfluß darauf. Ich kann nicht verhindern, was da geschieht!«
    Sein abgrundtiefes Entsetzen erschreckte sie. Sie klammerte sich an ihn, redete besänftigend auf ihn ein. »Es ist okay, Jon, dir kann nichts passieren. Du bist kein Teil davon. Was geschehen ist, hat nichts mir dir zu tun!«
    »Vorgestern hatte ich da so meine Zweifel«, stieß er sarkastisch heraus und machte sich frei. »Ich hab' mir überlegt, ob ich mich vielleicht nur an etwas erinnere, das ich selbst getan habe, an gewisse Handlungen, die mein Bewußtsein, mein Verstand hinterher ausgelöscht hat.« Er zeigte wieder auf die Zeitung. »Aber das hier ist auf dem Festland passiert, an dem Abend, als ich bei euch war. Das ist eine

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