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Moon

Moon

Titel: Moon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Herbert
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konnte das möglich sein?
    Eine Wolke verhüllte den Mond, und die Gestalt bewegte sich unbehaglich im Sessel hin und her, und ihr Atem war flach und rauh, bis das milde Licht zurückkehrte. Jemand war sich seiner Existenz bewußt; eine andere Erklärung gab es nicht. Und so reckte es seine geistigen Fühler aus und suchte und tastete nach dem Eindringling. Es fand ihn nicht. Noch nicht.
    Aber bald. Bald.

»Sie sehen ein wenig blaß aus«, bemerkte Estelle Pip-relly, als Childes das Arbeitszimmer betrat und auf einem Stuhl ihr gegenüber auf der anderen Seite des breiten Schreibtisches Platz nahm.
    »Es geht mir gut«, erwiderte er.
    »Sie haben sich verletzt.«
    Er hob die verbundene Hand; eine abweisende Geste. »Ich habe ein Glas zerbrochen. Nichts Ernstes, nur ein paar kleine Schnitte.«
    Die Decke war hoch, die Wände bis in Kopfhöhe in heller Eiche getäfelt, die oberen Bereiche waren in einem beruhigenden Pastellgrün gestrichen - bis auf jene Wand, die vom Boden bis zur Decke mit schwer beladenen Bücherregalen verstellt war. Ein Portrait der La RocheGründerin beherrschte die Wand rechts von Childes. Es war zweifellos eine exakte Wiedergabe, gab jedoch wenig vom wahren Charakter des Modells preis, was für ziemlich viele viktorianische Studien typisch ist. Neben der Tür tickte eine alte Uhr laut die Sekunden herunter, als wäre jede einzelne eine Verkündigung in sich. Childes blickte an der La Roche-Schulleiterin vorbei, zu den riesengroßen Fenstern hinter ihr. Strahlender Sonnenschein flutete herein und verwandelte ihre grauen Haare in ein silbernes Flammen. Draußen waren die Schulgärten zu sehen, grüne Rasenflächen, von erwachenden Blumen und Büschen gesäumt; das schräge Dach eines hell verkleideten Sommerhauses reflektierte blendende Sonnenstrahlen. Dahinter lagen die Klippen, zerklüftet und morbide, langsam verwitternde Bastionen gegen die See. Das dunklere Blau des Horizonts zog eine klare Trennlinie zwischen Meer und Himmel. Obgleich das Zimmer selbst geräumig und die Farbtöne beruhigend waren, fühlte sich Childes unwillkürlich eingeengt, als hielten die Wände eine Energie zurück, die aus seinem Innern entströmte, eine Kraft, die in den engen Grenzen seines physischen Körpers nicht enthalten sein konnte. Er wußte, diese Empfindung war nichts weiter als Klaustrophobie, kein Grund zur Beunruhigung; den Großteil davon verdankte er sowieso der bevorstehenden Aussprache mit der Direktorin.
    »Ich erhielt heute morgen einen Anruf von Victor Plat-nauer«, begann Miss Piprelly - und bestätigte seine ins-geheime Vermutung. »Ich glaube, Sie beide sind sich am vergangenen Samstagabend aus gesellschaftlichem Anlaß begegnet.«
    Childes nickte.
    »Er berichtete mir von Ihrem... äh... unglücklichen Unfall«, fuhr die Direktorin fort. »Er sagte, Sie wären beim Essen ohnmächtig geworden.«
    »Nein, das Essen war so ziemlich beendet.«
    Sie betrachtete ihn kühl. »Nun, er äußerte sich besorgt über Ihren Gesundheitszustand. Es liegt eine beträchtliche Verantwortung auf Ihren Schultern, denn Sie unterrichten Jugendliche, und solch ein Vorfall vor versammelter Klasse könnte bei den Mädchen einige Beunruhigung verursachen. In seiner Eigenschaft als eines unserer Vorstandsmitglieder bemühte sich Conseiller Platnauer um eine Zusicherung, daß Sie nicht regelmäßig zu derartigen Zusammenbrüchen neigen. Nun, ich glaube, dies leuchtet ein, nicht wahr?«
    »Es ist das erste Mal, wirklich.«
    »Haben Sie einen Verdacht, warum es passiert ist? Haben Sie bereits einen Arzt konsultiert?«
    Er zögerte, bevor er antwortete: »Nein, ich habe keinen Verdacht, und nein, ich war noch nicht beim Arzt. Ich bin in Ordnung, ich brauche keinen Arzt.«
    »Unsinn! Wenn Sie ohnmächtig geworden sind, dann muß es einen Grund dafür geben.«
    »Möglich, daß ich am Samstag ein wenig angespannt war. Eine persönliche Sache.«
    »Angespannt genug, um umzufallen?« spottete sie milde.
    »Ich kann Ihnen nur sagen, daß mir das nicht regelmäßig passiert. Ich fühle mich gesund, heutzutage mehr denn je. Das Leben auf dieser Insel hat für mich eine große Veränderung mit sich gebracht, einen anderen Lebensstil, weit weg vom Druck meines letzten Jobs, raus aus einem Beruf voller Konkurrenzkampf. Und es macht mir nichts aus, zuzugeben, daß es auch in meiner Ehe mehrere Jahre lang eine deutliche Spannung gegeben hat. Seit ich hier lebe, haben sich die Dinge geändert: ich bin entspannter, ich würde sogar

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