Moonlit Nights
Hoffentlich würde sie sich diesmal am Riemen
reißen. Aber das war genauso wahrscheinlich, als würde man
versuchen, Eis bei 200 °C im Ofen gefrieren zu lassen.
Dad schaute mich eindringlich an. Scheinbar sprach mein Blick
Bände. Bände? Er füllte wohl eher ganze Bücher.
»Ich habe mit deiner Ma geredet. Sie will sich benehmen.« Er
zwinkerte mir zu und sah vergnügt aus, als ich einen erleichterten
Laut von mir gab.
»In fünf Minuten …«, sagte er, bevor er sich umdrehte und die
Treppe hinunterging.
Wie von der Tarantel gestochen sprang ich los und hechtete vor
den Spiegel. Nichts, was man noch in fünf Minuten retten konnte,
lautete mein vernichtendes Urteil. Ich schob mir die Strähnen, die
mir aus dem Zopf gefallen waren, hinter die Ohren und ging
langsam die Treppe hinunter.
Unten duftete es köstlich.
»Hi!«, begrüßte ich Liam, der bereits am Tisch saß und sich mit
meinem Vater unterhielt, während ich versuchte, so locker und
lässig wie möglich zu klingen.
»Hi!«, grüßte Liam zurück und schenkte mir ein kurzes Lächeln.
Dann widmete er sich wieder meinem Vater. Sie schienen sich
über Politik zu unterhalten. Ich seufzte.
Das war Dads Lieblingsthema. Mit Sicherheit würde ich keine
Gelegenheit erwischen, selbst mit Liam zu reden – und so war es
auch. Dad quatschte ununterbrochen über die Versprechungen, die
uns die Parteien machen, und welche dann nicht eingehalten
wurden. Er echauffierte sich darüber, dass alle Politiker ohnehin
nur Lügner waren und es ihr einziges Ziel sei, den armen Bürgern
das Geld aus der Tasche zu ziehen. Selbst Mom kam bei so viel
Engagement nicht zu Wort, und das wollte schon etwas heißen.
Ich bewunderte Liam. Wie konnte er sich das Gelaber anhören
und dabei noch interessiert aussehen? Vor allem, wie schaffte er
es, immer zu den richtigen Zeitpunkten ein »ja«, »nein« oder
»seh’ ich genauso« einzuwerfen?
Meine Mutter stellte die Töpfe auf den Tisch und verteilte das
Essen. Es gab Steaks mit Kartoffeln, Erbsen und Möhren.
»Für mich bitte nur das Fleisch«, sagte Liam höflich, als meine
Mutter ihm das Gemüse auf den Teller schaufeln wollte.
»Oh, magst du das Gemüse nicht?« Meine Mutter sah leicht
bekümmert aus, dass sie etwas gekocht hatte, was Liam nicht
schmeckte.
»Ähm … es geht nicht speziell um dieses Gemüse. Ich esse
Gemüse generell nicht sooo gerne.« Liam lächelte sie an und sein
himmlisches Lächeln entschädigte einfach für alles.
Eigentlich hatte meine Mutter etwas gegen mäkelige Esser, doch
auch sie schien gegen Liams Charme nicht gefeit zu sein.
»So ist‘ s recht. Die jungen Herren wollen lieber Fleisch. Kann‘ s
dir nicht verdenken Liam, in deinem Alter war ich genauso.
Emma dagegen ist ein Spickser, der braucht man damit nicht zu
kommen.« Dad klopfte Liam freundschaftlich auf die Schulter.
Offensichtlich hatte mein Vater sich immer einen
fleischfressenden Sohn gewünscht, den er jetzt in Liam gefunden
zu haben schien! Prima!
»Dann passt ihr beide ja hervorragend zusammen, wenn du lieber
Fleisch isst und Emma immer nur Gemüse in sich reinstopft.«
Meine Mom strahlte über beide Backen bezüglich ihrer
Erkenntnis. »Ja, ja«, sinnierte sie weiter, »die jungen Herren
brauchen ja auch Fleisch. Der Eiweißhaushalt muss schließlich in
Schwung gehalten werden, falls in der nächsten Zeit
irgendjemand auf die Idee kommt, ihn anzuzapfen.«
Meine Mutter grinste ihr typisches
Ich-habe-einen-versauten-
Witz-gemacht
-Grinsen. Vielsagend schaute sie zu mir herüber. Ich
rollte mit den Augen, denn mir war klar, jetzt würde sie sich nicht
mehr beherrschen können. Wie ich befürchtet hatte, machte meine
Mom nun Bewegungen, als würde sie eine Kuh melken. Dazu gab
sie schmatzende Geräusche von sich und grinste vehement weiter.
Wenigstens eine, die sich immer wieder über ihre Schamlosigkeit
amüsieren konnte.
Ich hatte mir gerade eine Gabel voll Kartoffeln in den Mund
gesteckt und prompt verschluckte ich mich, was zu einem
erheblichen Hustenanfall führte. Bestens! Die Peinlichkeiten für
diesen Abend hatten soeben ihren Höchstpunkt erreicht.
Zuerst sah Liam auch ein wenig überrascht aus, doch dann
antwortete er mit einem knappen »stimmt« und begann zu lachen.
Meine Mutter stimmte in das Lachen ein.
Fred starrte derweil stur auf seinen Teller und stopfte sich eine
Gabel nach der nächsten in den Mund, als wollte er einen neuen
Rekord in Sachen »Schnellessen«
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