Moonshadow - Das Schwert des grauen Lichts
der Straße verfolgte. Aber dann machte er sich klar, dass er für eine Sichtverschmelzung zu geschwächt war, und sei es auch nur auf der untersten Ebene.
Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er es da mit übertrieben und welche Demütigung das bedeutet hatte. Während seines Trainings, als er die ersten Erfolge in dieser Kunst erzielte, hatte Eagle ihn schon gemahnt, sich zu zügeln und zwischen einzelnen Experimenten mit dieser neuen Errungenschaft zu ruhen, damit ihn die Erschöpfung nicht überwältigte. Abgelenkt von der Freude, etwas Neues zu kön nen, hatte er die Warnung ignoriert. Drei Tage in Folge hatte er sich enthusiastisch mit verschiedenen Kreaturen verbunden. Zuerst mit einem Hund, dann mit
einer Taube und schließlich, bei Sonnenuntergang des dritten Tages, mit einer Fledermaus.
Als er beim Abendmahl vermisst wurde, hatte Groundspider nach ihm gesucht. Als er ihn am Fuß einer Eiche in ei nem todähnlichen Schlaf ge funden hatte, konnte der große Kindskopf nicht der Versuchung widerstehen, ihm einen Streich zu spielen. Mit einem Stück Kohle hatte Groundspider sorgfältig »Rübenkopf« und »Vorsicht, faule Gase!« auf Nanashis Stirn geschrieben, bevor er ihn an den Esstisch getragen hatte, wo er dann erwacht war. Durch das ganze Mahl hindurch hatte Nanashi sich wegen der schadenfrohen Blicke und des lis tigen Grinsens aller Anwesenden unbehaglich gefühlt. Nur Badger hatte keine Miene verzogen. Aber so war er eben.
Kurz vor der Schlafenszeit hatte Heron ihm mit einem Lächeln hinter vorgehaltener Hand ein feuchtes Tuch gebracht und ihm - halb spöttisch, halb schuldbewusst - gesagt, was passiert war.
Einen Monat später hatte er sich an Groundspider gerächt, indem er heim lich die Reisschüssel des Vielfraßes mit Öl ausgestrichen hatte, was zu stundenlangem Durchfall geführt hatte.
Moon schloss die Augen und wünschte sich, er wäre zu Hause.
Nein, heute konnte er keine Blickverbindung mehr riskieren, und von seinen Feinden war mehr als ein brüderliches Schulterklopfen zu erwarten, wenn sie ihn tief schlafend vorfänden.
Moon entschied, er würde sich zusammenreißen und noch eine Weile Wache halten. Er krabbelte zu
dem größten Astloch in der Tür und beobachtete die Straße mit ei nem Auge. Später würde er dann den Rucksack ausgraben, den er schon hinten im Stall verbuddelt hatte. Darin lag alles für seine nächste Identität: die Jacke, der Gürtel und die wattierte Hose ei nes jungen Handelsgehilfen. Er hatte sogar einen Rechenschieber. Obwohl er so erschöpft war, musste Moon lächeln. Die Wäscheleinen und Wäschereien von Fushimi hatten ihm einen guten Dienst erwiesen. Morgen würde er als Gehilfe verkleidet zu dem Treffpunkt gehen, wo Agen ten vom Orden vom Grauen Licht auf ihn stoßen sollten. Wer immer auftauchte, würde ihm seine letzte Verkleidung bringen, in der er dann nach Edo zu rückkehren konnte. In Sicherheit. Nach Hause.
Eine Familie von Kleinbauern mit Körben auf den Rücken kam vorbei. Weiter vorne auf der Straße versuchte ein Wanderpriester in einer riesigen gewebten Kapuze, Glücksamulette an ein paar aufgeregte junge Mädchen zu verkaufen. Moonshadow blickte in die andere Richtung und schnappte nach Luft. Ein bekannter, grobknochiger Mann mit einem gro ßen Stock watschelte auf den Stall zu. Privatermittler Katsu! Immer noch in der Kleidung eines städtischen Geschäftsmannes ging der Schnüffler allein von Haus zu Haus und prüfte schnell die gan ze heruntergekommene Gegend.
Soweit Moon se hen konnte, scheuchte Katsu einen obdachlosen Herumtreiber auf, einen abgerissenen Mann, der eine ausgeblichene rote Schär pe trug. Moon tat der zer brechlich wirkende Mann leid, der
sich tief vor Katsu verbeugte und dann zwischen den Gebäuden verschwand. Die rote Schärpe, die er nie ablegen konnte, bedeutete, dass er eines schwerwiegenden Verbrechens überführt worden war, wahrscheinlich Raub. Diese Schärpe war eine Anweisung an jeden, den er traf, eine Anweisung, ihn zu ignorieren und ihm kein Es sen anzubieten, auch kei ne Arbeit oder Unterkunft. Es war ein lebenslanges Todesurteil. Moon ließ den Kopf mit einem grimmigen Lächeln hängen. Wenigstens würde ihm das nie passieren. Spione wurden immer exekutiert, nach altem Brauch.
Er sah mit Schrecken weiter zu. Katsu kam jetzt auf die Stalltür zu und rief fröhlich: »Hallo, altes Pferd!«
Moon schoss vom Heu hoch. Er atmete tief ein und aus und versammelte so seine letzten Kräfte, seine gesamte
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