Moonsurfer
Jetski. Die Dünung rollt in unruhigem Rhythmus über die Untiefen vor der Insel. Sie hebt ihn hoch und schickt ihn wieder zurück in ihre Wellentäler, so dunkel und erdrückend wie sein Gewissen. Er lässt seine tauben Hände über den Lenker des kleinen, schnellen Wasserfahrzeuges baumeln, sein Kopf hängt tief gesenkt zwischen den Schultern.
Er ist die ganze Nacht hier draußen auf und ab gerast, über Wellenberge gesprungen, durch die Gischt gestochen, hat gegen den Sturm angekämpft und sich die Kehle aus dem Leib geschrien. Sein muskulöser, braun gebrannter Körper, abgehärtet durch das Leben eines Surfers auf Sharkfin-Island scheint ihm jetzt den Dienst zu verweigern. Er zittert erbärmlich.
Der Wind hat während der ganzen Nacht nicht nachgelassen, eher wieder zugenommen und Brecher um Brecher auf den Strand getrieben. Wellen, die Bruce noch gestern Abend während des Surf-Contests willkommen geheißen hatte, um darin sein Können unter Beweis zu stellen. Jetzt verflucht er sie, denn sie sind ihm auf der Suche nach Steven zum Feind geworden. Steven, den er »Cheese«genannt hat und den er auf dem Surf-Contest in das offene Maul eines dieser Wassermonster hineingetrieben hat.
Bruce ist ein grober, meist rücksichtsloser Kerl, ein Angeber, der gewissenlos seinen Vorteil sucht. Als Sohn des Besitzers des West-Coast Surf Shops hat er schon im Babyalter auf einem Surfboard stehen gelernt, um erst viel später zu begreifen, dass man auf seinen Füßen auch laufen kann. Aber seine Rücksichtslosigkeit geht nicht so weit, dass er tatsächlich einen Menschen auf dem Gewissen haben möchte.
Außerdem hatte er den Neuling eigentlich sogar gemocht. Wollte ihm ja nur zeigen, wer hier das Sagen hat. Eine Feuertaufe eben oder besser gesagt: eine Wassertaufe. Nicht mehr und nicht weniger. Und jetzt hat er ihn in den Tod geschickt. So sieht es jedenfalls aus.
Die Helikopter, die während der stürmischen Nacht über ihm kreisten und mit ihren Scheinwerfern das aufgewühlte Meer absuchten, sind zum Auftanken in ihre Hangars zurückgekehrt, die Boote der Küstenwache haben sich verteilt, um ein größeres Gebiet abzusuchen, so aussichtslos das nach so vielen Stunden auch scheinen mag.
Bruce ist also der Letzte, der Steven noch dort sucht, wo bereits alles abgegrast worden war: dort, wo die Monsterwelle zugeschlagen hatte. Aber er will nicht aufgeben. Dieser Steven muss irgendwo hier sein, wenn er noch am Leben ist. Bruce kann nicht glauben, dass wahr sein sollte, was er befürchtet … und was er allein zu verantworten hätte.
Steven muss also noch am Leben sein!
Er hat doch sein Surfboard, an das er sich klammern kann …
… wenn er es nicht verloren hat.
Doch Bruce war die ganze Nacht über hier draußen und langsam verlassen ihn die Kräfte. Zusätzlich droht die kleine Tankanzeige des Jetskis den nahen Stillstand des Sportgerätes an.
Der nächtlich schwarze und wolkenverhangene Himmel über Bruce nimmt langsam die graue Farbe des frühen Morgens an. Es wird hell. Bei Licht kann er Steven vielleicht finden, sofern er noch lebt. … oder wenigstens das Board! … auch wenn ein verlassenes Brett die schreckliche Gewissheit nur verstärken würde, dass Steven verloren ist.
Er starrt hinaus auf die See, in seinem Rücken liegen die Insel und das Strandhaus, in dem Steven und seine Mutter leben. Jetzt reißt die Wolkendecke sogar ein wenig auf. Sie erhellt die unendlich weite Bühne aus Wolken und Meer, in der der einsame, erschöpfte Jetskifahrer dümpelt und das Schatzsucher-Schiff in den Wogen stampft, während es an seinen Ankerketten zerrt.
In Bruce erwacht ein letzter Hoffnungsschimmer. Er gibt noch ein letztes Mal Gas, um einen besonders hohen Wellenkamm zu erreichen.
Da sieht er es für den Bruchteil einer Sekunde, bevor es auch schon wieder verschwunden ist. Es ist so klein und so weit entfernt, dass es kaum mehr wahrzunehmen ist. Wie eine Ameise auf dem riesigen Parkplatz eines Supermarktes. Es könnte ein Palmenstamm sein oder ein Krokodil, das einen Ausflug in das Salzwasser macht, eine Planke des Sharkfin-Island-City-Piers, aber eben auch … ein Surfboard.
Bruce kneift die müden und vom Seewasser geröteten Augen zusammen. Er versucht zu erkennen, ob sich noch jemand an das Objekt klammert, aber da ist es auch schon wieder in den Wogen verschwunden. Also macht er eine schnelle Peilung zur Nordspitze der Insel, um den Winkel festzulegen, in dem das Objekt aufgetaucht war. Und gibt
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