Moor
Alkohol, Lexotax, die ganze Dröhnung. Die frischen Pikkolos hortet Frau Schäfer im Bodenfach der Kommode, das lauwarme Gesöff schäumt ihr im Mund. Sie nimmt das Buch und klappt es mit Kraftzu; der Knall schallt durch die stille Wohnung, ein Geräusch wie vom zuschlagenden Deckel eines Sargs.
Auch das wäre nun geschafft. Sie hat seine Kränkungen weggesteckt, nicht mehr oder weniger beschädigt als schon zuvor. Jetzt wird sie weitermüssen, weg aus Hamburg, sogar ins Ausland? Sie schüttelt sich, angewidert schleudert sie die Flasche in eine Ecke. Nein, dieses Mal darf sie nicht fliehen! Mit dieser Schande will sie nicht ins Grab. Sie wird weiterlesen und am Ende alles widerlegen können. Aufrecht und mit Würde wird sie ihm auf der Insel begegnen, erhaben über sein geschwätziges Kleinklein. Noch immer wird sie die Mutter sein und er das Kind. Auch dem Vierzigjährigen noch die Welt erklären müssen, ihn lenken und leiten, damit er ihr im Gegenzug einmal den Arsch wischt, wenn es so weit ist.
In dem Sekretär, der von Krimskrams überquillt, findet sie Briefpapier und Kuverts, sogar ein Heftchen mit Marken. Sie nimmt ihre ganze Konzentration zusammen und schreibt, in tadelloser Orthographie und mit ihrer noch immer kindlichen Handschrift: Wir sehen uns auf Sylt, aber unter einer Voraussetzung: Wir sprechen nicht über dein Buch, sondern über uns, wobei sie das letzte Wort zweimal unterstreicht.
Ob sie dich an jenem Abend tatsächlich bearbeitet hat, bis es dir kam, weiß sie nicht mehr genau. Wahrscheinlich nicht. Und wenn doch, denkt sie und setzt ihre Unterschrift hin, das M mit dem energischen Punkt, wenn es stimmt, was er schreibt, dann hat er eben sein erstes Mal mit einer Frau gehabt, die ihr Handwerk versteht.
Erst im Treppenhaus bemerkt sie, dass ihr das Kleid am Leib klebt, nass vom Kampf in der Wanne. Sie sollte sich etwasüberwerfen, denkt sie, sonst holt sie sich in dieser Nacht tatsächlich noch den Tod. In ihrer Hand knickt sie den Brief, den sie noch um einige Sätze ergänzt hat, schier unüberwindbare Worte, die sie auf Schmierpapier vorformulierte: Ich freue mich genauso wie ich Angst habe, ich hoffe, du auch . Zuletzt hatte sie die Adresse von seinem Brief abgeschrieben, der noch immer im Umschlag des Buches steckte. Sie bemühte sich um eine neutrale Schrift in Druckbuchstaben; niemand sollte sehen, wie bang ihr bei den schwersten Worten war, die sie je zu Papier gebracht hatte.
Frau Schäfers Strickweste liegt auf der Schwelle zum Badezimmer. Marga wirft sie sich über, schaut dabei nicht dorthin, wo es plätschert und spritzt. Ich bin gleich wieder da, ruft sie der Badenden zu, und dass sie das medizinische Gel nehmen soll. In der Wohnungstür schiebt sie einen Pantoffel als Keil in den Spalt, steigt unten auf dem Treppenabsatz über einen Typen, der im Suff weggeratzt ist. Der Rest der Feiernden hat sich in die Wohnung verzogen, Musik und Gelächter dringen heraus. Sie zieht dem Schlafenden die Bierflasche aus der Hand und leert sie in einem Zug. Durchwühlt seine Hosentaschen nach Zigaretten, findet nur ein Feuerzeug und ein Tütchen mit einem Klumpen Haschisch, den sie einsteckt. Der Typ, ein Hagerer mit fusseligem Bart, sackt zur Seite weg. Kurz bevor er mit dem Kopf aufschlägt, fängt Marga ihn ab, lehnt ihn zurück gegen die Wand. Sie nimmt sich aus der Bierkiste noch eine Flasche und verlässt leise das rauschende Fest.
Die Haustür ist schon zu, als ihr der Schlüssel einfällt, der in ihrer Handtasche liegt, in irgendeiner Ecke von Frau Schäfers Wohnung. Sie rüttelt am Knauf, drückt die Klingelder Wohngemeinschaft, wo sich im offenen Fenster die Silhouetten aneinanderschmiegen. Niemand beugt sich heraus, nur die Bässe hallen in der engen Straßenschlucht. Irgendwer wird schon aufmachen, denkt sie und läuft in die Nacht.
Der Briefkasten steht zwei Häuserblocks weiter. Sie schlägt die Abkürzung über die Grünanlage ein, geht dann doch den Umweg, wegen des Hundekots in den Rabatten. Ein Mann mit Schultertasche holt auf, eilt rauchend an ihr vorüber, abgehetzt von irgendeiner Spätschicht. Sie räuspert sich, bittet um eine Zigarette. Der Typ dreht sich widerwillig um, mustert sie mit müden Augen, einer Mitte vierzig, sie kennt sein Aftershave, kann die Einrichtung seiner Wohnung erraten, eine kleine Speckrolle überm Gürtel. Ich habe mich ausgesperrt, sagt sie, er zuckt die Achseln, brummt etwas von Schlüsseldienst und fummelt die Zigarettenschachtel aus der
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