Moor
Kommode und spuckt die Schublade mit den alten Fotos aus, die Frau Schäfer wehmütig stimmen. Sie muss ihr jedes Mal die Alben aufblättern, wenn sie einen dieser Vergangenheitstage hat. Drüben liegt aufgeschlagen das Buch ihres Jungen, das sie, anhustend gegen den Höllenqualm, auf die Kommode geworfen hat. Jede Blume und jeder Baum / jedes Lachen und jeder Traum …
Es tönt aus dem Roman, denkt sie, falsch, aus der Schublade!, nein, sagt die, vom Fernseher, und Marga fährt herum, doch die Mattscheibe ist abgeschaltet und nun das Stillste und Schwärzeste in all dem Stillen und Schwarzen, das sich wie ein Sarginnenraum um sie schließt, und draußen rauscht die Nacht, funkeln die Lichter, Sterne hell wie Diamant / und das unendlich schöne Land.
Dann, kurz bevor die Möbel sie zerquetschen, hört sie den Tropfen. Einen winzigen, aber echten Laut im Gewirr der künstlichen Stimmen, die ihr noch immer durch den Kopf schwirren, und noch bevor sie es sieht und ohne den Tropfen, der vom Rock auf den Boden fällt, wirklich gehört zu haben, weiß oder besser riecht sie, dass Frau Schäfer sich vollgepisst hat.
Sie knipst die Stehlampe an. Medusa und Hadeshund weichen zurück, drücken sich in die Winkel, verharren mit offenem Maul. Auf dem Parkett breitet sich eine Pfütze aus. Frau Schäfer schnarcht leise, ihre Lippen blähen sich auf, fallen dann wieder in die zahnlose Mundhöhle zurück. Das Gebiss hat sie bei ihrem letzten Besuch nicht mehr gefunden, obwohl sie sogar unter das Bett gekrochen ist, wo der Staub von zwölf Jahren Einsamkeit zwischen ihren Fingern zerstob, auf einer Batterie leerer Pikkoloflaschen.
Frau Schäfer! Marga stürzt hin, packt sie am Arm und reißt sie aus dem Sessel. Mit Wucht fällt der schwere Körper zurück in den Piss. Sie wischt sich die Hände an Frau Schäfers Strickweste ab, stemmt sich mit voller Kraft gegen das Möbel. Unter den Fußhölzern verheddert sich der Läufer, nach zwei Metern gibt sie auf. Erika, bitte!, fleht sie die Schlafende an, die nun die Augen aufreißt, sie erschrocken anblickt und sagt: Habe ich den Wecker wieder nicht gehört?
Sie kippt die Verwirrte aus dem Fauteuil. Geschickt fängt die sich am Türrahmen ab und tappt ins Badezimmer, auf die Wanne zu, wobei sie sich, wie in den letzten Wochen allabendlich geübt, an der Einstiegshilfe festhält, die Marga aus dem Sanitätshaus besorgt hat, gegen einen Zweihunderter, den sie nicht in Frau Schäfers Geldbörse, aber in der Schatulle fand, die sie aus dem Sektflaschengebirge unter dem Bett gegraben hatte, eine alte Schmuckkiste, in der sich noch ganz andere Kaliber verbargen, Goldmünzen, Ringe und Sparbücher. Mit dem Restgeld in der Tasche, unterm Arm das stabilste Gerät, ist sie anschließend in eine Boutique, hundertfünfzig für ein neues Kleid erschien ihr in Anbetracht all ihrer Notdienste wie ein Taschengeld.
Erika Schäfer setzt den Pantoffel aufs Trittbrett. Erst ausziehen!, ruft Marga, fängt den schwankenden Leib ab und pellt ihn aus der Kleidung. Sie löst die Bünde, die Häkchen am BH, reißt schließlich, weil die Widerspenstige um sich schlägt, den Strumpf, der sich im Gerangel im Reißverschluss verfangen hat, mit der Nagelfeile auf.
Wie sie nun in der Wanne liegt, nackt, wehrlos und beschämt, spätestens jetzt, denkt Marga, sollte sie, die Jüngere, die in fünfzehn, höchstens zwanzig Jahren, wenn sie das überhaupt noch schafft, das gleiche Schicksal ereilen wird, ein wenig Mitgefühl für ihre senile Nachbarin aufbringen. Warum nimmt sie sich, mit diesen Reichtümern in der Schatulle, keine Polin? Die würde gleichgültig mit dem Duschkopf hantieren, kalt oder warm, egal. Ich aber, denkt sie, bin eine feinfühlige Frau mit Herz und Verstand und weiß, wie die Arme leidet. Sie streichelt, tätschelt und drückt, bis die Zitternde sich langsam lockert. Der Heißwasserstrahl pladdert auf die fahle Haut, färbt sie brandrot. Marga braustden Rücken ab, Busen, Bauch und das Geschlecht mit dem spärlichen weißen Haar. Frau Schäfer wehrt sich, stößt zuletzt einen Ton aus, der ihr im Ohr trillert. Sie dreht ihr den Waschlappen zwischen die Beine, kämpft gegen die Stiche im Schulterblatt, das sich wie verkantet anfühlt und ihren Körper auf die Alte herabzwingt, als wäre das nun die letzte Pose, die von ihrem Leben bleibt, sichtbar für alle, auf ewig festgeschrieben in deinem Buch: bis zum letzten Atemzug gebeugt über die Genitalien der anderen.
Hier ist sie die abgebrühte
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