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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Deutsche Telekom. Sie wirft ihn in den nächsten Abfallkübel. Der Telefonkonzern, denkt sie, wird nun Mahnungen schicken, eine Pfändung veranlassen, Herrn Hufschmid das Leben zur Hölle machen. Ein einziger fehlgegangener Brief, der alles zerstört. Das Meer hätte sie vielleicht noch saniert. Sie mit seiner Weite und rauen Schönheit, wie man ihm nachsagt, inspiriert, ihre Lebensgeister geweckt oder Geist und Leben überhaupt erst in sie gepflanzt. Das Moor aber hat ihr ja doch nur den Spiegel vorgehalten und ihr Leben zu einer toten und unentwegt absterbenden Wüste gemacht, und sie rennt durch die hundeverkoteten Rabatten zurück und fühlt zum ersten Mal seit Jahrzehnten den Drang, Fenndorf wiederzusehen, unter ihrem Tritt den schwankenden Boden hinter dem Haus zu spüren, wohin sie seit ihrem Wegzug keinen Fuß mehr gesetzt hat, und sie springt über den schmatzenden Rasen, spritzt durch Pfützen und sinkt in die weiche Krume zwischen den Rosenstöcken mit ihrem betäubenden Duft, läuft immer schneller zurück zu dir, denn sie hat dein Buch ja noch nicht zu Ende gelesen und ihren Brief, denkt sie, vorschnell abgeschickt, lang vor dem Schluss, wo sich bestimmt alles zu ihren Gunsten auflösen wird, in einer letzten Szene, in der du sie von ihrer Schuld freisprichst und ihr die ganze über Hunderte von Seiten angehäufte und aufgebürdete Last von den Schultern nimmst, so dass sich der Rückenschmerz, der sie nun wieder voransticht und durch die vom Sommerregen versumpfte Parkanlage nach Hause stößt, die alte, unheilbare Wunde sich auf den letzten Seiten in etwas wie Demut verwandelt, ein neues, großes, nie gekanntes Gefühl, in dem sie ausschwingen, sich in Frieden von der Vergangenheit verabschieden und ruhigen Schrittsweitergehen kann, dank ihres Jungen, der sie mit seinem Buch auf diesen Weg gebracht hat, und plötzlich beschwingt und schwerelos, als hätte ihr diese Hoffnung Flügel verliehen, gleitet sie aus dem grünen Dunkel heraus auf die hellerleuchtete Straße und vor das verschlossene Haus, sieht im offenen Fenster die Feiernden und hört das Flehen der Klingel, dem sich keiner erbarmt, und sie wirft sich gegen die Tür, und die Tür wirft sie zurück, sie rüttelt am Knauf, und der reißt ihr den Fingernagel ein, sie trommelt gegen das Holz, das ihr umso härter und dicker erscheint, je größer und verzweifelter ihr Wunsch wird, weiterzulesen, wieder ganz nah bei dir zu sein und dich aus der Frostnacht, in der sie dich damals zurückgelassen hat, herauszuführen ans Licht, in die Wärme und den Frühling über dem Moor, das dann, endlich angekommen auf der anderen und besseren Seite, keine heimtückische, lebensfeindliche Ödnis mehr sein wird, sondern ein grünender und blühender Garten, doch wie sehr sie auch kratzt und hämmert, dich um Einlass bittet und sich vor dir verbiegt, du lässt deine Mutter draußen in der Kälte stehen.
    ◆◆
    Wer klopft an der Tür? Szenenwechsel, schneller Umbau: dein Zimmer, Schrank, Schreibtisch, Wandbord mit Marmeladengläsern, leere Libellenkinder darin, die aus ihren Blasenaugen den Hund bezirzen, winselnd und mit wedelnder Rute räumt Ronja deine Sammlung aus dem Regal. Ein paar der Behälter liegen aufgesprungen am Boden. Auf dem Etikett steht Leucorrhinia dubia , Kleine Moosjungfer, und Lestes virens , was einmal die Exuvie einer Binsenjungfer war, doch von beiden keine Spur mehr. Ronja schleckt sich das Maul, scharrt weiter in den Trümmern. Tanja, Aus!- und Sitz! - Befehle schimpfend, zerrt am Halsband des Welpen,der genüsslich die Larvenhülle der Blutroten Heidelibelle zerkaut, eines deiner schönsten Exemplare. Sei’s drum, Dion, die Schätze der Kindheit sind eh längst verloren.
    Wieder das Geräusch aus dem Parterre, ein Schlag, dann Getrommel. Tanja blickt ängstlich herüber, auch der Hund zieht den Schwanz ein, als wüsste er schon um die drohende Schelte. Mutter!, schießt euch dreien der Gedanke fast gleichzeitig durch den Kopf. Ist das schon das Ende des lustigen Stücks? Der große Spaß so jäh vorbei? Aber wohin mit den Kostümen? Wie so schnell das Chaos beseitigen, und welche Lüge wäre ein Ausweg?
    Am besten sie versteckt sich, denkt Tanja und sucht mit den Augen nach einem Schlupfwinkel. Bis soeben schien ihr der Plan perfekt, das Abenteuer unendlich: Das Haus ist groß und verwinkelt, der Schrank von Dions Mutter voll schönster Kleider, sie hätte ihre Jeans und Miniröcke getragen, drüben sogar ein eigenes Zimmer gehabt.

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