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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Jacke.
    Darf ich auch zwei?, sagt sie, wer weiß, wann die anrücken, er verdreht die Augen. Sie steckt sich mit der einen Hand den Filter zwischen die Lippen, die andere umklammert die Bierflasche, ob er ihr die öffnen könne? Er knackt den Kronkorken mit dem Feuerzeug, ohne ihr die Flasche aus der Hand zu nehmen; sie trinkt, hält ihm das Bier hin. Schon halb weggedreht, schüttelt er den Kopf, sie setzt ihm den nackten Fuß in den Weg, klopft gegen die Kippe.
    Das Feuerzeug will im Wind nicht zünden, sie umschüsselt seine Hand, inhaliert tief und lang. Das Nikotin explodiert ihr ins Hirn, ein Schwindel reißt sie fast zu Boden, stürzt sie in den weichen, wogenden Fall, seit Jahren das beste Gefühl. Drüben wohne eine Freundin, sie deutet die Straße hinunter, besser ich geh zu ihr. Na dann, sagt er und tritt ungeduldig auf der Stelle. Du wohnst doch nicht weit, grinst sie, ich kenndich vom Sehen. Er rafft seine Tasche an sich und flüchtet um die nächste Ecke.
    Der Brief gleitet in den Schlitz, ist jetzt unwiderruflich auf seinem Weg zu dir. Noch einmal überkommt sie der Schwindel, ein anderer jetzt, tatsächlich niederreißender, das Leben holt auf, beschleunigt rasend, stürzt voraus, sie klammert sich an den Kasten; egal, was sie nun tut, die Richtung heißt abwärts. Jetzt, da es kein Zurück mehr gibt, ist sie sich plötzlich ganz sicher: Es ist eine Falle. Ihr Junge hat sein Kriegsspiel eröffnet, setzt sie als seine Figur rachsüchtig aufs erste Feld, eine Taktik, gegen die sie mittel- und machtlos sein wird, schachmatt schon nach ein paar Zügen. Der Klapperjass seiner Kindheit, den immer nur sie gewonnen hat, ist längst vorbei, auch die Regenpantomime ein alter Hut, das Greisenspektakel, ihr Gutenacht- und Morgengeküsse, das ganze Muttertheater nun wirkungslos; ab jetzt gelten härtere Regeln, Zeitungsartikel, Interviews, womöglich sogar RTL, ihre Geschichte das große Fressen für den skandalhungrigen Mob, wie gemacht für den Sender der Lebensverlierer.
    In dem feuchten Wollzeug beginnt sie zu frieren, bald schlottert ihr ganzer Körper im Todeshauch, der aus dem Kittel der Schäfer steigt. Was hat er vor? In welch Schmierenstück ist sie da geraten, ein Familiendrama der ganz besonderen Art in einem Land, wo man den besten Müttern einst Orden verlieh?, und sie steckt die Hand in das Postkastenmaul, das schon auf Fingerhöhe zubeißt.
    Im Kopf spult sie Sätze hin und her, die sich in ihrem Brief besser gemacht und ihr schon den ersten Gegenschlag ermöglicht hätten, denn bei allem, was er ihr unterstellt, fehlende Bildung, Rechtschreibschwäche, Berufsausbildung imRotlichtmilieu – keine Mutter, denkt sie, nicht einmal die blödeste, lässt sich in einen solchen Plan verwickeln, der ein mieser, fieser und abgeschmackter ist, und sie schiebt die Hand noch tiefer in den Rachen des alles verschlingenden Kastens.
    Hauptsache, sie kriegt den Brief zurück! Ihre neue, überarbeitete Version wird die Vorzeichen, unter denen ihr Wiedersehen in vier Wochen steht, umkehren, mit besseren Chancen für sie, außerdem will sie es an einem ihr vertrauten Ort, nicht auf der Reicheninsel, wo allein die Hotelkosten sie schon ruinieren werden, nein, hier, so wird sie es ihm nun ankündigen, in ihrer kleinen Altonaer Klitsche, sollen sie sich treffen, wo der Pisse- und Bratgestank von Frau Schäfer in der Luft hängt und sich auf dem Tisch die Mahnungen türmen, darunter auch die Zinsabrechnung der Sparkasse, bei der sie mit einem Kredit in der Kreide steht, und in der Wiedersehensszene, wie sie ihr vorschwebt, hält sie dir das Papier mit dem Soll von zehntausend Euro unter die Nase, an einem dieser Orte, sagt sie, wo sie dich jetzt für deinen Erfolg mit Preisen ehren, hätte ich, wenn du bei mir geblieben wärst, eine eigene Galerie gehabt, und mit dem Erlös – und sie kommt mit dem Mund ganz nah –, hätte sie dich auf die beste Universität geschickt, und, flüstert sie, wenn dir auch das noch nicht genug gewesen wäre, sogar eine Stadtwohnung gekauft, wo auch immer du es gewollt hättest, nur für uns zwei, haucht sie dir ins Ohr, küsst deinen Hals und schwört, dass sie mit den billigsten Farben und in Fließbandproduktion gemalt hätte, wie die rote Sonne vor Sylt im Meer versinkt, alles, droht sie und hält dir das Buch unter die Nase, hätte ich getan, damit so etwas nicht passiert!
    Der Brief, den sie aus dem Kasten gefischt hat, ist von einem gewissen Peter Hufschmid, adressiert an die

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