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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Scheune, rauchend auf der Veranda, im Auf und Ab durch das Haus, manchmal war sie weggefahren, ohne dir zu sagen, wohin. Als du einmal dennoch einen frisch von der Wiese gepflückten Frühlingsblumenstrauß in die Vase stelltest, hat sie das Kraut mit gespielter Bestürzung umarmt und gerufen: O Schönheit, für mich musstest du sterben!
    Jetzt beugte sie sich über die Seite, umhüllt von einer Parfumwolke. Kranke Mutter?, sagte sie und versuchte, dir das Heft wegzuziehen. Du hast sie abgewehrt und das Geschriebene mit der Hand verdeckt. Wie hatte sie nur so schnell lesen können? Ob du mit deiner kranken Mutter an diesem besonderen Tag nicht einen Ausflug machen willst? Sie hatte sich herausgeputzt, den Lippenstift aufgefrischt, das Haar hochgesteckt, sogar ein Festkleid angezogen, das rubinrote, das sich mit ihrer orangefarbenen Mähne biss. hHausaufgaben, logst du. Sie wiederholte spöttisch das Wort, das einzige, das dir auf die Schnelle gelungen war, schnappte die Kladde und schob sie in die Bettritze. Woher kannte sie das Versteck? In ihren Augen glaubtest du Triumph zu sehen. Es sei doch so schönes Wetter. Ihre Stimme klang jetzt verdunkelt, Bedauern schwang darin oder Wehmut, irgendetwas schien sie plötzlich zu rühren. Sie wandte sich zum Fenster, doch ohne einen Blick, der all das hätte erkennen und sich darüber hätte freuen können: die Sonne, die Frühlingsluft, das frische Gras, darüber die Schwalben, die erst seit wenigen Tagen aus ihren Winterquartieren zurückgekehrt waren. In zehn Minuten, sagte sie, fahren wir nach Hamburg. Sie drückte dir den Kuss auf und zog ab.
    Mit dem grünen Gefühl im Bauch hast du den Stift weggelegt, die Haushose aus-, die beste Jeans angezogen, dein mittlerweile fast schulterlanges Haar gekämmt, etwas von Daniels Rasierwasser aufgetragen, das er auf der Ablage vergessen hatte, die weißen Turnschuhe geschnürt, die du für besondere Anlässe schontest, einen letzten Blick in den Garderobenspiegel geworfen, wo du eine Schnute zogst, alles verlangsamt, umständlich, gegen einen schier unüberwindbaren inneren Widerstand, wie ein Kranker sich unter Schmerzen vorbereitet auf den unvermeidbaren Gang zum Arzt.
    Als du sie in der Scheune abholen wolltest, kauerte sie mit angezogenen Beinen und in ihren hochhackigen Sandaletten auf dem Hocker und tupfte den Pinsel auf immer dieselbe Stelle des rotroten Bildes, an dem sie seit Wochen arbeitete, ohne dass es sich merklich veränderte. Nur die Farbe kam dir mit jedem Tag beißender vor, blutig und böse. Sie hob nicht einmal den Blick, als sie sagte: Ich kann auch nichts dafür, dass du keine Freunde hast, und während sie mit zusammengekniffenen Augen die Pinselspitze wie ein Skalpell auf den Punkt setzte: Geh ins Dorf, es ist voller Kinder. Die Sonne lachte, als du ins Freie ranntest, mit Augen, aus denen das Wasser lief, ins brennende Moor.
    ◆◆
    Doch hier am Teich siehst du nichts von mir. Nirgends Flammen und Asche. Frischer Wind fegt aus Nordost, dringt selbst durch die gefütterte Jacke. An den Erlenzweigen spitzen zaghafte Blätter, weiter draußen flirren die Birken in ihrem weltfremden, fast wahnhaften jungen Grün. In einer niedrigeren Zeile davor leuchtet rostrot der blühende Gagelstrauch. Darüber wölbt sich der Mai gläsern gegen die Sonne.
    Es ist ein eisiger Brand, der hier glüht. Meine Flammen wüten im Verborgenen, in den Schwarztorfschichten unter dem Gras, bei den durstigen Wurzeln; erst in anderthalb Metern Tiefe stoßen die Torfstecher in diesem Frühling auf Wasser. Der letzte Regen fiel Anfang März. Die Moosbeere blüht noch, die Erde schmort schon. Ich schwele und zündele mich langsam zu dir hin, unter der Grasnarbe und an den klaffenden Säumen der Dräne entlang, ganz ohne das Spektakel, nach dem alle die Hälse recken: die Kinder, die Bauern auf ihren Treckern, die Touristen aus der Stadt, die in der Zeitung vom Fenndorfer Moorbrand gelesen haben, an den Absperrbändern stehen und sich wundern, wie friedlich das Land doch unter der schönen, brandschatzenden Sonne liegt.
    Die sengt und dörrt die Torfmoose aus, trocknet die Schlenken zu staubweißen Krusten, getarnt hinter arktischem Wind. Jeder Tautropfen dient ihr als Brennglas, das den schwächsten Halm entfacht: kein Aufspringen des Flämmchens wie von einem Zündholz, nur ein an heikelster Stelle langsam durchschmorender Punkt in einem Geflecht brütender Gräser; aufgrund seiner geringen Wärmeleitung heizt sich der Torf an den

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