Moor
länger werdenden Sonnentagen wie ein Backofen auf. Nachts kühlen die oberen Schichten nur zögerlich aus, um von der frühen Morgensonne wieder neu befeuert zu werden. Draußen beim Kolk, auf der baumlosen Kuppe des Hochmoors, in der Gras- und Strauchsteppe, wo die Sonne auf zwölfstündiger Bahn ungehindert mit den Böen aast, habe ich mein Werk begonnen.
Nur die Bauern beschuldigen die achtlosen Städter, die ihre Zigaretten auf den Fußpfad schnippen. So oder so war ich längst bereit für die Katastrophe. Der fiebernde Nervbrennt durch, entzündet das Fleisch, das sanfte, stets ein wenig schwermütige Gesicht der Ebene verzieht sich zur Zornesfratze, färbt sich schwarz und reißt auf. Das Moor hat einen Sonnenbrand, und auch dir, Dion, wird am Ende dieses Tages vom Herumirren in der Stadt die Haut auf Stirn und Wangen glühen. Danach werden die Blasen aufplatzen, abschuppen und einen neuen, weißen, noch ungleich verletzlicheren jungen Mann hervortreten lassen, doch das viel gefährlichere Geschwür, deine Mutter, hast du dann endgültig abgestoßen. Sie ist fertig mit dir. Wartet, dass du endlich erwachsen wirst und Leine ziehst. Schon in aller Frühe ist sie nach Hamburg gefahren, und aus Erfahrung weißt du, was passiert, wenn sie dir ihre Ausflüge verheimlicht. Während du hier zauderst und grübelst, bettelt sie Ute Hassforther um eine neue Ausstellung an. Willst du das alles wirklich noch einmal erleben?
Du schnaufst aus, fühlst deinen Atem zittern, blinzelst mit glasigen Augen gegen die Sonne. Ja, heul dich aus. So ein Abschied fällt nicht leicht. Spür den Schmerz, erkenne, was er für dein Leben bedeutet, dann sei ein kluger Junge und fass den Entschluss!
Du sinkst tiefer in die Winterjacke, in den Augen steigt der Druck. Warum jetzt so melodramatisch? Als Moorkind und Libellenforscher weißt du doch, dass ich hier von Zeit zu Zeit neue Verhältnisse schaffen muss. Inzest in Familienbanden führt auch bei den Tieren auf lange Sicht zur Degeneration der Gruppe, also wird die Brut, die das Nest nicht verlassen will, zum richtigen Zeitpunkt rausgeschmissen. Worauf wartest du noch? Hock nicht rum, nimm den Bus nach Hamburg, finde deine Mutter, und bring sie guten Gewissens nach Ochsenzoll auf die Geschlossene.
Ausgerechnet dorthin zurück?, denkst du und wischst dir die Träne ab. Als sie aus der Klinik wiederkam, an einem der ersten sonnigen Märztage, war sie rot und fett. Vielleicht lag es ja an der klobigen Motorradkluft, dass sie genauso füllig wirkte wie Marianne, die neben dich trat. Nie hatte sich ein Stoff auf dem Körper deiner Mutter gespannt, immer war der Gürtel um ihre Taille bis zum vorletzten Loch geschnallt gewesen, die knappe Bluse mit ein paar Stichen noch enger genäht. Nun schwang sie einen Arsch von der Maschine, der breiter war als der Sattel.
In deiner Erinnerung ist sie allein gekommen, möchtest du sie vielmehr allein zu dir zurückkehren sehen, auf einem Feuerstuhl aus der leeren, winterkahlen Ebene wie eine Heroin über das Schlachtfeld eines siegreich überstandenen Krieges: Sie zog sich den Helm vom Kopf, schüttelte die flammenden Haare, schaute erst zu dir, nickte dann der Schwägerin zu und sagte zu euch beiden oder in den Spalt zwischen euren Schultern, wo die Abendsonne sie blendete: Mein Junge!
Tatsächlich aber hat er sie gebracht. Du hast den Mann aus der Klokabine sofort erkannt. Hatte sie dir all die Jahre ihren Liebhaber verheimlicht? Ihn damals, bei der Preisverleihung der Sparkasse, vielleicht schon gekannt und all die Tage, an denen du zu Hause auf sie gewartet hast, in Wahrheit mit ihm verbracht? Bei dem Gedanken, dass gar nicht ihr Überdruss, das Leben mit dir der Grund war, warum sie krank geworden war, sondern Liebeskummer, spürtest du Erleichterung, doch da war noch ein anderes, stärkeres Gefühl, das auf deine Brust zu drücken begann; erst später, in deinem Buch, wirst du es Eifersucht nennen.
Er tritt aus ihrem Schatten hervor und reicht Marianne die Hand. Ein Freund aus Hamburg, wischt Marga ihn weg,zieht aber gleichzeitig seine Faust heran, er sagt: Moin, Daniel Röcker. Im Nachhinein vervollständigt sich die Szene. Heute weißt du, dass sie auf dem Motorrad dicht hinter ihm gesessen hat, die Hände um seine Hüften gelegt, den Kopf an die Schulter geschmiegt, von einer Familie träumend, während der Fahrtwind ihr das Gesicht rötete.
Geht es dir also wieder gut, sagte Marianne und stellte sich dichter neben dich; das gelbe Licht auf
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