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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Margas Gesicht verschwand. Mir geht’s super, erwiderte sie und nickte dir aufmunternd zu, man habe sie dort wieder gut hingekriegt. Der Satz passte nicht zu ihr, schien dir auswendig gelernt, als sagte sie ihn unter Zwang, wie überhaupt ihre Bewegungen ungelenker als früher wirkten, ferngesteuert, eckig, auch der Blick floh rastlos von einem zum andern; die ganze Mutter hinter einer Maske, die du nicht durchdrangst.
    Die Sonne sank in den Horizont, wurde größer und rot. Da kippte auch schon ihre Stimme, Hirnwäsche!, lachte sie, du hörtest, wie Marianne sich räusperte. Es sei eine ausgezeichnete Klinik, fügte Daniel hastig hinzu, der nun schützend neben ihr stand. Sie hätten dort sofort erkannt, was ihr fehlt.
    Und was fehlt dir?, fragte Marianne, ohne Daniel vorher anzuschauen. Was Endogenes, genetisch bedingt, erklärte Marga und zog seine Hand noch enger heran. Solche Begriffe hattest du noch nie von ihr gehört. Viele ihrer Worte aus jener Zeit erscheinen dir rückblickend zu groß; sie füllte die Phrasen nicht aus, Sätze wie Ich muss mich abgrenzen, oder Ich muss jetzt bei mir bleiben, immer mit Betonung auf dem Ich , dieser Zwang, sich vor Daniel zu behaupten, anderer Meinung als er zu sein, später, wenn sie wegen der sogenannten Lösung stritten.
    Genetisch?, wiederholte Marianne zweifelnd und legte dirdie Hand auf die Schulter, du zucktest weg. Marga, so war dir, registrierte deine Abwehr mit Genugtuung. Sie streckte die Hand nach dir aus und sagte: Komm!
    Marianne verstärkte ihren Griff. Du hast zu Boden geblickt, auf die Erdschollen, wo du die groben Steine ausgraben solltest. Die Tante hatte die Rabatten bepflanzt, wie jedes Jahr mit Kartoffeln, Salat und Kohl. Zwischen den Brocken kroch ein Engerling, grub sich zurück in die schützende Krume. Mit der Stiefelspitze schobst du ihn auf einen Trittstein, wo er sich zu einem Ring krümmte. Die winzigen Beinchen zappelten, fanden auf dem Stein keinen Halt.
    Marianne räusperte sich wieder, auf der Schulter spürtest du ihre Hand zupacken. Vielleicht fragst du ihn erst, ob er will, sagte sie. Marga stieß einen quietschenden Laut aus, irgendetwas zwischen Gelächter und Drohruf; es ähnelte ein wenig dem Quorren einer Uferschnepfe, jenes Vogels, den du im Moor oft hörst, aber kaum je gesehen hast. Die Raupe krabbelte ziellos umher.
    Frag ihn, flüsterte Daniel ihr zu. Sie ließ seine Hand los und strafte den Freund mit einem Blick. Da hast du den Spaten genommen und das Tier in der Mitte zerteilt. Es war so still in diesem Moment, dass du das Metall knirschen hörtest. Du erinnerst dich sogar, was du dabei dachtest: Daraus soll nie ein Maikäfer werden, oder etwas Ähnliches. Dann tratst du die Kadaverhälften in den Boden.
    Vielleicht hättest du ihn vorher fragen sollen, ob er überhaupt zu dir ziehen will, sagte Marga und zog dich weg vom Engerlingmassaker. Davor, erwiderte Marianne ruhig, hättest du mich fragen müssen, ob ich ihn zu mir nehmen kann . Sie kenne doch die Situation in ihrer Familie. Hannes wollenun plötzlich studieren, Martin müsse wegen seines Asthmas erneut zur Kur, der Zuschuss vom Ministerium sei noch immer nicht bewilligt. Ihre Stimme klang gefasst, hatte sich nur um eine Tonlage erhöht, zitterte nun ähnlich dünn und splittrig wie in ihren Streitereien mit Hannes.
    Marga roch nach Zigaretten, Benzin und Leder. Ihr Typ grinste dir kumpelhaft zu, doch du hast weggeschaut, an deiner Mutter vorbei ins Moor. Böen beugten die Binsen, die Sträucher und Besen der Weidenköpfe nach Westen, hin zur Sonne, die als kaltes Feuerloch in die Erde sank und die im Wind kichernden, krummgebürsteten Birken in ihren rußfleckigen weißen Luderkitteln in der letzten Minute des Tages erröten ließ, als stünden sie schon in Flammen.
    Danke für alles! Marga streckte der Schwägerin die Hand hin. Die nickte, schlug nicht ein, sagte nur: Die Tür ist offen. Sie nahm dir den Spaten aus der Hand, sah dich dabei nicht an. Marga schob dich zum Motorrad, Daniel half dir hinauf.
    Den Weg zum Haus durftest du selbst fahren. In deiner Kladde steht über diesen Märztag, dass dein erster Eindruck von ihrem neuen Kerl okay gewesen sei. Er habe dir Kupplung und Gas erklärt, mehrmals auf die Bremsen hingewiesen, dich noch einmal ermahnt, mit der Maschine behutsam umzugehen wie mit einer Jungfrau. Marga sagte: Versau mir hier nicht meinen Jungen, zog dich heran und quetschte dir den Helm auf den Kopf, der innen nach Haarspray roch.
    Du hast die

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