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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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Zündung betätigt, die Kupplung kommen lassen, das Motorrad machte einen Satz nach vorn, soff ab. Marga quiekte und klammerte sich an dich. Nach dem zweiten Startversuch kam die Honda ins Rollen. Die Tachonadel bewegte sich langsam auf die Vierzig zu, du hofftest, Hannes würde dich von seinem Fenster aus sehen.
    Alles war wieder wie immer: Marga groß und schützend hinter dir, ihre Umarmung fest, vertraut und unentrinnbar, als wäre sie nie weg gewesen; der Heidedamm eine Rumpelpiste, rechts das Moor, links die Magerwiesen und frischgepflügten Felder, im satten Abendrot das Haus wie ein funkelnder Palast, und Daniel schon fast vergessen. Hundert Meter weit warst du mit der neuen Mutter glücklich.
    Erst als du den Motor abstelltest, hast du die Kraniche gehört und aufgeblickt. Sie waren aus ihrem Winterlager zurückgekehrt und zogen hoch im entzündeten Himmel über das Haus Richtung Rahse, nach Norden, ihre V-förmigen Geschwader in mehreren Zeilen hintereinander, die Schrift streng, klar und doch verschlüsselt, ihre fernen, trompetenhaften Rufe wie Gelächter, als würden sie darüber spotten, dass du deiner Mutter abermals in die Falle gegangen warst.
    Denn schon in der Küche begann das Elend. Von der Deckenkante hatte sich ein Stück Tapete gelöst, im Spülbecken türmten sich Stapel von Geschirr, übersät mit schwarzen Placken. Jemand war in Schlammschuhen über die Fliesen gelaufen, die Spur führte nach oben.
    In diesem Loch wohnt ihr?, sagte Daniel und schaute sich um. Mein Loch ist dein Loch, erwiderte Marga, grunzte über ihren Witz und kickte unterm Stuhl eine tote Maus hervor. Ob du denn gar nicht mehr hier gewesen bist? Sie blickte dich tadelnd an, du fragtest: hWozu? Sie hätte ruhig ein bisschen saubermachen können, diese Geizerin, zischte sie in einen der dreckigen Winkel hinüber, und du wusstest, dass sie damit deine Tante meinte, die dich öfters mit einem Putzeimer voller Scheuermittel zum Heidedamm geschickt hatte, seufzend, sie könne nicht zwei Häuser gleichzeitig in Schuss halten, in ihrer Stimme der unterschwellige Vorwurf der Überforderung, der in all ihren An- und Zurechtweisungenmitschwang, die sie dir als ihrem neuen Pflegekind erteilte. Du warst jedes Mal vor der Haustür wieder umgekehrt; den Gefallen, das Chaos zu beseitigen, in dem beide Frauen dich zurückgelassen hatten, wolltest du weder Marianne noch deiner Mutter tun.
    Daniel öffnete den Kühlschrank, schlug die Tür schnell wieder zu. Lass ihn doch erst mal heimkommen, sagte er und steckte die Hände in die Hosentaschen. Marga schnaubte. Heimkommen? Das sei sein Zuhause, und er: Dann solle sie ein bisschen was dafür tun. Er zog mit dem Finger eine Bahn in den Staub. Sie ging zur Spüle und warf ihm einen Lappen hin. Warum ich, sagte sie, ihre Stimme gickste beim I. Du wohnst jetzt auch hier, doch sie schaute dabei dich an, als hätte sie von dir schon wieder die Schnauze voll.
    Los, zeig mir, wie du es gemacht hast, befahl sie. Was gemacht?, erwiderte er. Wie er in der Werkstatt seines Vaters das Altöl aufgewischt habe. Die vielen spitzen Vokale des Satzes bohrten sich dir in die Schläfen. Es sei seine künstlerische Ini-ta-tion gewesen, schoss sie zu dir herüber. Das Wort kippte in die Kopfstimme. hInitiation, hast du verbessert.
    Daniel begann zu lachen. Erst verzog sich nur sein Gesicht; es platzte aus dem Rahmen des Vollbarts, wurde breit und grob. Marga erstarrte. Wie als Gegenreaktion verschlankten sich ihre Züge. Du sahst, wie sich ihr Rücken verspannte und sich gebieterisch aufrichtete, kanntest die Drohgebärde von Frau Härtel, der Englischlehrerin, wenn sie die Kontrolle über die Klasse verlor. Daniel krümmte sich vor Lachen, eine Viertelminute oder länger warf er sich immer wieder gegen den Stuhl, an dem er sich festhielt. Urkomisch, dass sie ihm das tatsächlich geglaubt habe! Aus den Augenwinkeln sahst du, wie sie die Faust ballte. Sie zischte: Was?
    Ob sie nicht seinen Vater kenne, Hartmut Röcker? Sein Gesicht rutschte langsam wieder in den Bartrahmen zurück. Die Augen waren glasig, die Stirn gerötet mit kleinen Schweißperlen darauf, er sah besoffen aus. Marga machte sich am Küchentisch zu schaffen. Wieso sie irgendeinen Hamburger Automechaniker kennen solle? Das Geschirr schepperte in ihrer Hand. Daniel kippelte mit dem Stuhl. Er sei der vormalige Intendant des Hamburger Schauspielhauses und seine Mutter – die eben noch vergurgelte Stimme war plötzlich scharf und angriffslustig –

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