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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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brennen? An welchem Tag kippte die Stimmung, und was war der Moment, als du beschlossen hast, zu gehen? Deine Erinnerungen an die letzten Wochen verschwimmen zu einer Abfolge von hoffnungsvollen, oft heiteren Stunden im Wechsel mit Momenten, in denen du Marga hasstest. Die Sonnentage gingen mit hartem Schnitt in frostige Nacht über und die sternklare Finsternis wieder ins gleißende Morgenlicht, ohne Atempause oder die beruhigende Langeweile eines Regentags stakkatohaft dem Sommer entgegen, während der Frühling zur Wüste wurde.
    Sie sagte Sätze wie: Wir bauen uns einen Palast, oder, mit Blick auf ihren bevorstehenden Geburtstag, zu dem sie das ganze Dorf einladen wollte: Alles neu macht der Mai. Das Haus erstrahlte in Glanz und Putz. Sie füllte Eimer, seifte Möbel ab und schwang den Feudel, mit einem Leuchten in den Augen, wie du es an ihr noch nie gesehen hattest. Die stockfleckigen Tapeten sollten runter, das Linoleum in der Küche raus, Fliesen stattdessen, die sie selbst bemalen wollte. Sie riss die nikotingelben Gardinen von den Stangen und wälzte bunte Stoffballen über den Boden, die sie zu Stores vernähte. Bei der Auswahl der Farbe für dein Zimmer ließ sie dir freie Hand. Nachmittagelang hast du die Tapete vonden Wänden gekratzt, den von kleinen Vögeln behausten Blätterwald, den du als Kind an Grippenachmittagen stundenlang durchstreift hattest, bis du darin ein System erkanntest, in dem sich die Motive – Doppelblatt, Astgabel, Nest, einsamer Vogel, schnäbelndes Liebespaar – in regelmäßigen Abständen wiederholten. Irgendwann war Marga mit neuen Wadenwickeln oder einer Schüssel mit geriebenem Apfel gekommen und hatte dich aus dem Fieberdschungel herausgeführt.
    Als du im Zeever Heimwerkermarkt Tuben schwarzer Abtönfarbe in den Einkaufswagen warfst, griff sie ein, ganz sorgende Mutter, die ihrem heranwachsenden Kind die Pubertät nicht allzu düster wünscht. Du aber wolltest ein Zimmer wie das von Hannes. Kurz vor deinem Auszug aus dem Haus der Lamberts hatte er die hellhörige Bettwand geschwärzt, worin sich die geheimen Geräusche versteckten. Wenn er nachmittags mit dem Mofa unterwegs war, hast du dich durch die Tür in sein Zimmer gedrückt und an der Bettwäsche geschnuppert. Vorm Schrankspiegel warfst du dir seine Kleider über, hast Sachen befingert, die ihm oft durch die Hände gingen: Stifte und Lineale vom Schreibtisch, ein Kamm mit Haarplacken, eine in die Ecke gekickte Unterhose, den Stapel zerlesener Comics, die er unter Schulzeug in der Schublade versteckte.
    Die Hauptfigur, die auf fast jedem der Bilder gegen Ganoven kämpfte oder akrobatisch über Autos sprang, war ein kantig gezeichneter Held in schwarzen Stiefeln, dunkelblauem Ganzkörperanzug, mit Slip und Fledermausmaske, ein, so stelltest du es dir vor, blonder, wahrscheinlich grünäugiger Junge oder junger Mann, den du gerne auch ohne Maskerade gesehen hättest.
    Du berührtest das Gesicht, und tatsächlich, vielleicht wegen einer plötzlichen Veränderung des Lichts, war dir, als würde die Maske verrutschen und Hannes hervorblinzeln, die Augen dicht beieinander, das Kinn ein grober Zacken, überhaupt alles an seinem Körper noch eckiger gezeichnet als in echt. Da ging unten die Tür, schwere Schritte schlurrten über den Boden.
    Dein Finger, den du später, aufs Bett gestreckt, beschnuppert hast, roch nach nichts. Doch in der Vorstellung duftete er nach Hannes, klebte darauf sein in der Wand versiegelter Geruch, den du weder einatmen noch ablecken konntest, so dass du dich schon nach einer kurzen, halb verzweifelten, halb wütenden Berührung erleichtert hast. Drüben drehte Hannes die Musik auf volle Lautstärke. Selbst der Lärm erschien dir seit dem neuen Anstrich von der schwarzen Farbe irgendwie erstickt.
    Zum alljährlichen Maskenball in der Turnhalle war Hannes als schwarzer Ritter erschienen. Die Lippen dunkel angemalt, trug er ein enges Shirt über einer schwarzen Lycra-Hose und einen wahrscheinlich auf dem Trödelmarkt erstandenen blauen Mantel um die Schultern, dessen samtiges Material die als Feen und Hexen verkleideten Mädchen fasziniert befingerten. Nur Daniela, die halbnackte Bauchtänzerin, verschränkte die Arme und sagte: Voll schwul. Hannes stahl ihr den Schmuck aus dem Nabel, hielt ihn in die Menge und rief: Selbst der Stein an ihr ist falsch! Daniela kippte ihm die Bowle ins Gesicht und zog ab, im Schlepptau Yvonne, die Tochter des Wirts, einen zwittrigen Schwarzen mit rotem, dick

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