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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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den Putz zogst, balancierte Daniel auf der Leiter, weißelte die Decke und summte Songs aus dem Radio mit, das er umso lauter stellte, je drückender dir das Schweigen erschien.
    Er trug die Hemdsärmel hochgekrempelt, zeigte zuckende Sehnen und hervorspringende Adern, wenn er sich streckte. In dem Körperfell, das sich bis auf seine Fingerknöchel zog, nisteten weiße Farbkörnchen, auch die Mähne und der dichte Vollbart waren gesprenkelt. Immer wieder wanderte dein Blick beim Pinseln zu ihm hinauf, kroch in den Hemdkragen und studierte die drahtigen Locken, die sich vom Kinn auf den Hals kringelten, über den Kehlkopf hinweg, der spitz hervorstieß und im Takt der Melodien auf und ab hüpfte. In ähnlicher Form, dachtest du, würdest auch du einmal deinen Bart zurechtstutzen, sollte sich der Flaum, der dir auf Kinn und Oberlippe spross, jemals zu einem rasier- und beschneidbaren Wuchs verdichten.
    Marga kam ins Zimmer und vertrieb die Stille, die trotz der launigen Musik im Zimmer lastete. Futter für meine Jungs, sagte sie und brachte Salamibrote, dazu Cola und eine Schale mit den saftigen Lakritzschnecken aus den Plastikdosen in Ilse Blochs Laden, die dir beim Einkauf stets den Mund gewässert hatten. Sie stellte alles auf die Trittstufen, tauchte einen Pinsel in die Wanne und tippte dir auf die Nase, so, wie sie dir früher bei den Zahnputzschlachten vor dem Becken übermütig die schäumende Bürste ins Ohr gesteckt hatte. Sie weiß, was ihre Männer brauchen, grinste Daniel zu dir herunter und angelte nach einem Wurstbrot. Marga steckte es sich in den Mund, stellte sich auf die Zehenspitzen und forderte Daniel zum Spiel auf. Der schnappte nach der Schnitte, die sie sich erst von den Lippen beißen ließ, nachdem er Pfötchen gegeben, einen Buckel gemacht und den Schwanz aufgestellt hatte, einen langstieligen Pinsel, den er sich zwischen den Schenkeln hindurch auf den Rücken schob, wobei er fast von der Leiter kippte. Armer schwarzer Kater, sagte Marga und streichelte ihm den Pelz. Er fauchte erst, schnurrte dann, biss dem Frauchen in den Nacken und fuhr fort, die Deckenkanten zu beklieren.
    Bei der nächsten Lakritzschnecke wurde dir übel. Die Cola schmeckte abgestanden, das helle Sonnenlicht entlarvte deine Arbeit als Schlamperei, überall waren Rinnen und Farbnasen zu sehen. Marga lackierte Daniel die Fußnägel in Birkengrün und Cremeweiß, fingerte sich an seinen Waden hinauf zu den Knien und unter den Saum seiner abgeschnittenen Jeans, zerrte ihn schließlich von der Leiter und verschwand mit ihm nach nebenan.
    Immer wieder die gleiche Bahn abrollend, wo du auch nach dem vierten Anstrich noch die dunklen Flecken durch dieSchichten dringen sahst, hast du das Spritzen und Saften der Tunke im rissigen Mauerwerk beobachtet und den leisen, aus dem Schlafzimmer dringenden Stimmen gelauscht, einem Kichern und Gurren, das langsam anschwoll und überging in langgedehnte, von unregelmäßigen Pausen durchsetzte Seufzer, die lauter wurden, sich zu einem kataraktischen Gestöhne steigerten und in einem Duett sich gegenseitig in die Höhe peitschender Schreie gipfelten, die sogleich verebbten und in die erschöpfte Stille mündeten, welche in Zimmern herrscht, wo ein Kind, das sich lang gegen das Löschen der Lampe gewehrt hat, endlich eingeschlafen ist.
    Da hast du das Malzeug in den Eimer geschleudert und bist raus in den Frühling, unter die Mittagssonne, die dir die Farbspritzer auf den Wangen zu künstlichen Tränen brannte, wie sie den Clowns und Pierrots bei ihren komisch-tragischen Pantomimen unterm Auge kleben.
    All das ist kaum vier Wochen her. Marga schien endlich wieder gesund, und Daniel war der Mann, der sie in Schwung gebracht hatte. Er lümmelte breitbeinig auf Stühlen, lag lesend auf dem Sofa oder beugte sich im Hof über den Schrott, den er aus der Scheune geschleppt hatte und in Kunst verwandeln wollte, lautstark behämmerte oder mit der Bohrmaschine umtänzelte. Auch dir blieb nicht verborgen, was Marga so gern an ihm betrachtete: die festen Muskeln, seine schlanken, meist schmutzigen oder von Farbe beklecksten Hände, die buschigen Achselhöhlen mit ihrem Katergeruch, seine labberigen Shorts, aus denen seitlich der Schwanz spitzte, wenn er sich beim Frühstück zeitunglesend im Schritt kratzte.
    Du hast schnell weggeschaut, hin zu Marga, die den Zigarettenrauch verwedelte und dir zuzwinkerte, im stillen Einvernehmen über das, was ihr saht. Deine in dieser Zeit stets ein wenig verkniffenen

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