Moor
damals die Diakonissen bei ihren Samstagnacht-Camouflagen gewarnt, als Einziger alles sieht: wie sie jetzt den Scheitel unter einem hastig gezwirbelten Haarbusch kaschiert, den Lippenstift auffrischt, den Lidstrich nachzieht, einen Spritzer aus dem Parfumflakon erst unter die Achseln, dann in den Slip stäubt und einen letzten prüfenden Blick in den Wandspiegel wirft,wo sie nun wieder das Leben in seiner Mitte sieht, pur und endlich ohne die Blendwerke der Hoffnung, das große Bild.
Sie schleicht vors Bad. Durch den Türspalt beobachtet sie Röcker, wie er vorm Becken steht und sich erst die Hände seift, dann, nachdem er umständlich im Latz gewühlt hat, den Schwanz, langsam und gründlich, als wollte er Zeit gewinnen. Den Arsch auch, befiehlt sie, und er schaut fragend herüber, schnappt nach dem Handtuch und packt sich weg. Ich fand’s auch geil, sagt sie, und er: Geil was? Wie die Nutte im Film den Fettsack gefingert hat. Nutte, wiederholt er, kommt auf sie zu, formt mit Daumen und Zeigefinger eine Pistole, setzt ihr den Lauf auf die Stirn, streicht mit der Fingerkuppe, die vom Wasser ganz kalt ist, über Wange, Hals, Brust, zielt schließlich direkt auf ihr Herz. Sie presst sich gegen den Kolben. Den Gefallen tu ich dir nicht, sagt er und dreht sich, wie es das Drehbuch nun verlangt, hin zum Bett, so dass sie die Arme ein wenig öffnet, bereit fürs Finale, endlich der Kuss, dann Aufatmen, Abspann.
Doch die Szene hängt, die Helden stehen herum, voneinander abgewandt, mit hochgezogenen Schultern und weggeknickten Blicken. Erst jetzt, glaubt sie zu sehen, fällt ihm der Deckenspiegel über dem Bett auf, in dem er gedrungen wirkt, ein Junge mit zu großem Jackett vor einem Mädchen im roten Sommerkleid mit zur Palme gebundenem Haar. Das Zimmer ist fensterlos, die Zeit darin aus dem Takt, tatsächlich könnte draußen Sommer sein oder ein anderer Frühling. In dem Film, der nun plötzlich doch weiterspult, fahren sie nach einem harten Schnitt mit dem Motorrad aufs Land, durch maigrüne Weizenfelder zu einem Haus im Moor, das am Ende der Straße auftaucht, ein Junge davor, der ihnen mit der Hand als Schirm über den Augen entgegenblickt, die Luft ist warm und erfüllt vom scharfen, ein wenig arzneihaften Duft des purpurn blühenden Gagels.
Dann sieht er die Kulisse, die Inszenierung darin, falsch, sie sieht, dass er den Luftbefeuchter an der Heizung entdeckt, das Schälchen mit ätherischem Duftöl darauf, das Gewollte und Gemachte ihrer Frische. Sie unterdrückt einen Laut, der ihr als Lachen ebenso wie als Schrei hätte herausplatzen können, beißt sich auf die Lippen und schluckt beides hinunter. Röcker schnellt vor, packt sie am Arm und biegt sie über das Bett; es ist die gleiche Bewegung, mit der sie damals Miklos, der Boss, in Arbeitsbereitschaft gebracht hat.
Wer bist du wirklich?, keucht er auf sie herab, hör auf, mich zu verarschen! Ihr Kiefer knackt, dann das Bettgestell, irgendwo im Inneren des Bildes, in einer tieferen Schicht. Es ist der Augenblick, auf den sie lange gewartet hat.
Sie reißt sich los, wehrt Röckers Hände ab, die letzte Chance auf eine Liebesumarmung. Von ihrem Stoß kracht Röcker gegen das Bettgestell und das Bettgestell gegen die Wand, wo an der Garderobenstange der erste Kleiderbügel zu schwanken beginnt und den zweiten antippt und der zweite den dritten, den sie packt, zu spät, sie hört schon das Klappern.
Die Tür springt auf, Bühne frei für Siana, die Puffmutter. Was machst du hier?, ruft sie mit ihrem harten Akzent. Ich arbeite, erwidert Marga sehr ruhig und spürt ihr Herz endlich höherschlagen. Sie zerrt ihren verblüfften Freier aus seiner Ecke und stößt ihn gegen die Chefin, die ihn abfängt und zurückstößt. Kurz schließt Marga schützend die Arme um ihn, schubst ihn dann wieder zu Siana, die zur Abwehr die Fäuste hebt; für einen Moment tanzen die Körper ihr absurdes Ballett. Raus hier, raspelt die Russin und deutet zur Tür,streckt noch im selben Moment die Hand aus, um die Gewalt abzuwehren, mit der Mira, ihr einst bestes Mädchen, auf sie losgeht. Der Kleiderbügel erwischt sie mit voller Wucht. Siana taumelt zur Seite, in Röckers Arme, der plötzlich neben Marga steht, sie anstarrt und den nächsten Hieb mit seinen Knopfaugen abzufedern versucht, den kindlichen, tief enttäuschten und, denkt sie in diesem Moment voll Bedauern, tatsächlich ehrlichen Augen, in denen sie vielleicht hätte ausschwingen und zur Ruhe kommen können.
Doch da
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