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Moor

Moor

Titel: Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunther Geltinger
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die Lippen, ob der Amorbogen, denkst du, das eigentliche Übel ist, ein scharfes, pfeilspitzenförmiges V, das dir wie eine Klammer unter der Nase sitzt?
    An der Scheibe kringelt sich der Schnee, wenn du ihn lachen hören könntest, es wäre ein Klirren. Die Grenze im Waschbecken ist verwischt wie alles, was zwischen dir und Marga klare Verhältnisse schaffen soll. Du malst mit dem Lippenstift eine Linie querdurch, auch die Konsole halbierst du miteinem Strich. Auf dem Rollwagen das gleiche Problem, ein Durcheinander und Ineinander eurer Habseligkeiten: Eine Haarspange klemmt am neuen Yps-Heft, auch der Libellenführer, deine Klolektüre, ist von ihrem Kram bedeckt. Am Boden ineinander verknäuelte Schlafanzughosen und Nachthemden, und dein Deodorant, das gleiche, das auch Hannes benutzt, hat sie schon ins Regalfach geräumt, zu den Parfums, die sie nicht mehr mag.
    Wie weiter vorgehen? Schlangenlinien zögen sich durch das ganze Haus, wenn du dein Leben von ihrem trennen wolltest. Also pack den ganzen Plunder, und ab damit in die Tonne! Auch die Badewanne teilst du und ziehst sogar ein großes Viereck drum herum; von nun an gilt alles innerhalb dieser Linie als privat. Dann noch eine Sperrzone um das Klo, rot-weiß gestreift. Danach ist der Lippenstift platt, du wirfst ihn in den Mülleimer. Und atmest auf.
    Doch für deine neuen Bollwerke habe ich nur ein müdes Pfeifen im Kamin übrig. Glaubst du wirklich, Dion, dass deine zarten Striche Marga in Zukunft aufhalten werden? Schon immer hat sie die schwersten Geschütze aufgefahren, wenn es darum ging, ihren Willen durchzusetzen, und das nicht nur bei ihrer Arbeit. Erinnere dich, wie sie damals ohne Vorwarnung ins Badezimmer gestolpert ist, mitten hinein in dein intimes Geschäft. Auch an jenem Septemberabend, als sie das letzte Mal von Hamburg zurückgekommen war, hatte sie sich gut bewaffnet. Sie türmte die Bände des Naturlexikons, das sie dir endlich doch noch besorgt hatte, einen nach dem anderen auf den Rollwagen, ausgerechnet in der Sekunde, als nichts mehr zu halten war. Das Plumpsgeräusch war wie eine Detonation, so sehr beschämte dich die Stille. Vor Wut hast du den Rollwagen weggetreten. Die Bücherpolterten zu Boden, es waren, wie du mit stierem Blick zähltest, nur fünf. hUnd hder hRest?, hast du gemault und dich tiefer in die Schüssel gedrückt. Sie stapelte die Bände zurück auf den Wagen und schob dir den Packen hin. Je mehr du weißt, desto weniger wirst du einmal verstehen, sagte sie und setzte sich auf den Wannenrand. Ihr Gesicht schien dir seltsam verzerrt, fassungslos und voller Ekel, als hätte sie in den Minuten zuvor etwas gesehen, was sie zutiefst erschüttert hatte. Du wolltest sie anblaffen, ich scheiße , die zwei Zornworte drängten dir auf die Zunge und wären dir vielleicht sogar gelungen als der unmissverständliche, längst überfällige Befehl, dir endlich zu gewähren, was dir schon lange zusteht, Respekt und Achtung vor deinem Körper, seinen Bedürfnissen und Geheimnissen.
    Sie sackte in sich zusammen, stützte das Gesicht in die Hände und begann, tonlos zu schluchzen. Du hast dich weggedreht und nach dem Spülknopf gelangt; es schien dir der einzige Weg, aus dieser unerträglichen Situation zu entkommen. Das Wasser schoss herauf und zog dich in die Tiefe. Du hast den kalten Hauch von unten gespürt, für einen Moment leckte der Schwall an deinem Hintern. Du musstest an den Rochen denken, deine Kinderangst vor dem Rohr, die alte, unfertige Geschichte in deiner Kladde. War es nun so weit? Wollte sie jetzt endgültig weg von dir? Was zum Teufel hattest du nun wieder falsch gemacht, übersehen oder ihr verweigert, dass sie dich so quälte?
    Unter dir schmatzte das Loch. Im Bad jetzt nur noch diese erstickende Schwere ihrer Verzweiflung. Für einen Moment hofftest du, sie hätte in ihrem Brass einfach übersehen, dass du beschäftigt bist, würde es schon in der nächsten Sekunde merken, sich kleinlaut entschuldigen, aus dem Bad schleichen und sich auf dem Bett ausheulen, hemmungslos jetzt und herzzerreißend, so dass du gar nicht anders könntest, als hinüberzugehen und dich neben sie zu legen.
    Sie hob den Kopf, riss ein Stück Klopapier ab und reichte es dir. Zeig mir, dass du jetzt groß genug bist dafür, sagte sie, trotz der Tränenspuren auf ihren Wangen wirkte ihre Stimme feindselig und schneidend. Sie wollte keinen Trost, sondern den Angriff. In der anderen Hand hielt sie noch immer den Kleiderbügel von der

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