Moor
krümmt sich Siana schon am Boden, unter dem Kleiderbügel, der erst auf die schlaffe Brust, dann, als die Alte ihr im Reflex den Rücken zukehrt, zwischen die Schulterblätter zielt, mehrmals kurz hintereinander und jetzt nicht mehr mit der Kante, sondern dem Haken immer hinein in den verhurten, verholzten Körper, der in der Mitte auseinanderbirst oder zu bersten scheint, als Kopf und Rumpf wegknicken, die Beine aber wie bei einem niedergerissenen Gaul nach hinten austreten, gegen das Bettgestell, im Takt der Alarm schlagenden Hölzer.
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Feucht klebt die Dämmerung zwischen den Mauern, weißen Betonwänden, die ihr fremd und viel zu hoch erscheinen. Statt des Schaufensters mit den blicklosen Puppen darin sieht sie dort, wo einst der Eingang zum Modehaus war, nur ein gähnendes Loch mit einer Schranke davor. Ein Auto rollt aus dem Parkhaus, der Fahrer glotzt. Sie wendet ihm den Rücken zu, warum schämt sie sich plötzlich?
Mehr als zwanzig Jahre hat sie die Kleine Marienstraße nicht mehr betreten und sogar Umwege in Kauf genommen, in der halb unbewussten, halb trotzigen Art, wie man die Orte meidet, an denen man an irgendeinem Punkt seines Lebenszu viel von sich selbst gelassen hat. Sie blickt auf und sieht hoch über dem Dach des Betonklotzes den Mond am dunstigen Himmel stehen, eine dünne Sichel, bügelförmig, von der herab die Nacht wie ein nasser Lappen hängt, vollgesogen mit dem Schmutz des Tages. Sie streckt den Arm aus, als wollte sie das große, gute Gestirn, von dem es heißt, es beschütze die Träumer, endlich herabzerren, das veruntreute Nachtwunder nach so vielen Jahren doch noch empfangen, findet aber in ihrer Hand nur wieder dein Buch.
Irgendwann war sie raus aus ihrer Wohnung, wollte an einem ruhigen Ort weiterlesen, ohne das aufreibende Geplärr aus Frau Schäfers Fernseher, unbehelligt vom Partylärm der Wohngemeinschaft, weg von den Kampfrufen ihres schlechten Gewissens, dem Frontalangriff der Erinnerung. Sie sehnte sich danach, ganz nah bei dir zu sein, zu spüren, was du ihr wirklich sagen willst, am Ende deiner tosenden und tobenden Sätze, in der Stille nach der verlorenen Schlacht.
Sie duschte lange, seifte sich wieder und wieder ein, bis die Tube mit dem Duschgel fast leer war. Das Gefühl, schmutzig oder beschmutzt zu sein, der Geruch der alten, weggeworfenen Frau klebte noch immer an ihr. Sie stand lange vorm Kleiderschrank, entschied sich schließlich für ein kurzes Sommerkleid, viel zu dünn für die regnerische Julinacht. Schminkte sich, föhnte das Haar, wusste selbst nicht, wozu, niemand erwartete sie.
Draußen trieb sie durch ein mittwochsträges Altona, unter einem Himmel, der sich schwefelgelb färbte, je näher sie dem Kiez kam. Sie hielt sich abseits der Königstraße, irrte durch Seitengassen, in denen sie viele Jahre nicht mehr war. Hexenberg, Hutmacherhof, das Gewirr der Hinterhöfe und Passagen führte sie schließlich zurück auf die Holstenstraße, wo auf der anderen Seite die körpersüchtigen Lichter der Reeperbahn blinkten.
Sie querte bei Rot, mied den Hauptstrom und tauchte in die trübe Helle der Nebengassen. Auf der Paul-Roosen-Straße drängte sich eine kleine Menschenmenge vor einem Szene-Lokal, aus dem die Bässe wummerten. In der Glasscheibe erhaschte sie ihr Spiegelbild, bereute es jetzt, das kurze Rote gewählt zu haben, eine Farbe, die an einer Frau ab einem gewissen Alter nicht mehr aufreizend wirkt, sondern vulgär. Im Zentrum ihres leeren Schattens sah sie Julius sitzen. Auch wenn sie der Tabletten längst schon überdrüssig war – dafür, dass es mit Lexotax keine Angst mehr gab, hätte sie dem Erfinder des Wirkstoffs, der sie einst fast umgebracht hatte, für alle Zeit Blumen aufs Grab gelegt. Sie schlug den Ärmel ihrer Jacke um, so war der Altersfleck auf der Hand gut sichtbar. Dann ging sie hinein.
Er war mit einem Mädchen da, einer Kommilitonin vielleicht? Oder doch die Geliebte? Die beiden hielten Händchen, er trug das übliche knappe T-Shirt, sie Jeans und Trägerhemdchen über den straffen Brüsten. Sie standen spitz von ihrem schmalen Rumpf ab wie zwei Zuckerhüte, zuckten hinüber zu ihm, über dem Glas Caipirinha, diesem Modegesöff, das auch nur aus Zucker besteht, Zucker, das Wort bohrte sich in ihre Gedanken, sie wusste nicht, warum sie es zwanghaft wiederholte, als hämmerte es ihr jemand ins Hirn. Zuckersüß, sagte sie zu dem Mädchen, das höchstens zwanzig war und als Erste hochblickte. Marga löste die Spange aus
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