Moor
Garderobenstange im Ankleidezimmer, der den zweiten angetippt hatte, dann der zweite den dritten und so weiter, bis ihr Kopf erfüllt gewesen war von dem alten, immerwährenden Alarm.
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Alles war gut vorbereitet gewesen. Wie schon damals im Mädchenheim schien ihr der Plan für die große Flucht perfekt, das Bild ihres Durchbruchs zum Greifen nah: Sie war ihre Galeristin los, hatte nun Daniel Röcker im Schlepptau, den Hauptgewinn. Sie schubste ihn über den Hinterhof des Modehauses und durch die Tür auf den Korridor, in ein kaltes Neonlicht, die große Leere, das schöne Weiß. Ab jetzt gab es nur noch diesen Tunnel ins Innere und Hintere ihres Lebens, ein schon tausendfach begangener und immer in sich selbst zurückführender Moment, die ewige Gegenwart. Es ist, denkt sie, während sie schon tief hineintaucht, der größte Fehler ihres Lebens gewesen, dass sie einmal geglaubt hatte, das Malen könnte ein Weg aus diesem Kreislauf heraus sein oder dieser Kreislauf das Tor hinein in die Kunst.
Warte, flüstert sie, schiebt ihn in eine Ecke und nickt ihm zu; die Rolle des Heimmädchens, das ihre Eroberung an der Wächterin vorbei ins Zimmer schleust, beginnt ihr zu gefallen. Sie drückt sich an der Wand entlang und in die Nische, die an eine Sperrholztür anschließt, dahinter der Spiegel der Umkleidekabine, der jetzt lautlos aufschwingt. Sie teilt mit der Hand den Vorhang und sieht eines der Mädchen gelangweilt hinterm Tresen lungern. Die Chefin scheint außer Haus. Vor wem sie ihn da verstecke?, flüstert Röcker in seiner Ecke. Kaum im Ankleidezimmer, legt er ihr die Hand auf den Arsch. Erst waschen, befiehlt sie und boxt ihn ins Bad. Er schnuppert an seiner Achsel, vor der Tür biegt er ab, streift mit der Hand über die Anzüge an der Stange. Schneiderin also?, nickt er zu ihr herüber. Sie grinst und spürt ihr Gesicht dabei schon alt und unbeweglich wie das Meisterwerk hinter Glas. Herrenausstatterin, erwidert sie, und er: Haha. Stiefelklacken auf den Fliesen, das Klirren des Gürtels, sie hört den Pinkelstrahl, die Spülung gurgeln, dann den Wasserhahn, sinkt aufs Bett, springt wieder auf, öffnet, wobei sie sich laut räuspert, die Kommodenschublade: Kondome, Gleitcremes, Spielzeug, das Briefchen mit Kokain gegen Aufpreis, alles da, auch die obligatorische Schachtel Lexotax für den Erholungsschlaf danach, und sie täuscht einen Hustenanfall vor, drückt zwei Tabletten heraus und schluckt ohne Spucke.
Alles in Ordnung?, ruft Röcker aus dem Bad. Sie horcht in ihr Inneres, wo nichts in Ordnung ist, kein Atem flattert, der Puls zäh und klein, sie schlägt sich auf die Brust, sagt: Glaub, ich krieg ne Erkältung. Wenn der Herzschlag in der Not nicht mehr beschleunigt, sondern absinkt, ist der Punkt, an dem die Angst vor dem noch Schlimmeren schützt, überschritten. Sie zieht das Kleid ein Stück über die Schulter, zerwühlt mit einem Blick in den Ankleidespiegel ihr nasses Haar, bleckt die Zähne, streckt die Zunge heraus, ein grünerLappen, wie verschimmelt, ob sie sich tatsächlich was eingefangen hat? Den Kopf nach hinten gebeugt, starrt sie in die Deckenverspiegelung, wo sie normalerweise die Rückansicht ihres Freiers, nun aber ihren Scheitel sieht, die herausgewachsene Farbe am Haaransatz.
Es ist so weit, hat Wolfgang, ihr Friseur, bei der letzten Sitzung gesagt und ihr triumphierend eine graue Strähne ins Gesicht gezupft, woraufhin sie der einunddreißigjährigen Frau, die sie aus dem Spiegel heraus beäugte, mit einem grimmigen Nicken den Krieg erklärte. Ab jetzt werde ich teuer, grinste Wolfgang, wickelte das Greisenhaar um den Finger und riss es kurzerhand aus, so dass sie aufschrie und die Mütterchen unter ihren Trockenhauben hervortauchten.
Sie streckt die Hände zum Deckenspiegel hinauf, als wollte sie die Gefälschte, die man ihr frontal dank Wolfgang, der auch Visagist ist, noch nicht, von oben betrachtet aber schon in Ausschnitten ansieht, aus dem Glasgefängnis der Blicke heraus in ihre Arme ziehen, um doch mit ihr Frieden zu schließen und gemeinsam noch einmal oder das erste Mal überhaupt Mädchen zu sein, Liebesabenteuer zu spielen, Herzklopfen zu haben, doch als sie den kalten Körper an sich drückt, spürt sie nur die Leere in der Brust und auch weiter unten, im Bauch, kein Kribbeln, nur Übelkeit.
Sie stößt die Alte zurück in den Deckenspiegel, wieder hinauf in den blanken, unfälschbaren Himmel, wo alle Blicke im Auge des Mannes enden, der, so haben sie schon
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