Moorehawke 02 - Geisterpfade
Hallvor: » A chroí «, flüsterte er. »Rud éigin le hól . «
Hallvors ernste Miene verzog sich zu einem Grinsen, und sie sprang auf. Sie packte Wynter und Razi gleichzeitig um die Schultern und drückte sie mit erschreckender Kraft zusammen. » Buíochas leat «, raunte sie in Wynters Haar. »Buíochas, a luichín . «
Wynter fühlte sich plötzlich an Marni erinnert, und beim Gedanken an die gewaltige, ausladende Frau bekam sie einen Kloß im Hals. Sie schluckte die unvermutete Empfindung rasch herunter und tätschelte Hallvor den drahtigen Unterarm. Dann ließ die dunkelhaarige Heilerin sie los, verschwand kurz aus dem Zelt und kehrte mit einem Wasserschlauch und drei hölzernen Bechern zurück.
Sólmundr nahm das Wasser sichtlich durstig entgegen, und Hallvor streichelte ihm das Haar und die starken Arme und klopfte ihm auf den Rücken, während er trank. Schließlich sank er wieder in sein Kissen, das Gesicht müde, die Schultern wegen der Schmerzen im Bauch immer noch etwas nach vorn gezogen.
»Also«, sagte Razi. »Dann habe ich also nicht meinen guten Darmfaden, mein unbezahlbares Opium und meine kostbare Zeit auf einen Mann verschwendet, der entschlossen ist zu sterben, oder, Sól?«
Als Antwort lächelte Sólmundr nur. »Coinín nimmt meinen Platz ein?«, fragte er erneut. »Er steht an Ashkrs Seite?«
Razi schielte verstohlen zu Wynter. »Er ist jetzt im Wald«, entgegnete er ausweichend. »Er erfüllt in diesem Augenblick Eure Pflicht.«
Vorsichtig rutschte Sól unter der Decke herum. »Ich muss mit ihm sprechen. Aber ich glaube …« Heiter sah er zur Decke. »Ja, Coinín ist ein guter Mensch.«
»Und was ist mit Euren anderen Pflichten?«, fragte Razi. »Ihr könnt noch mindestens vierzehn Tage nicht reisen, und selbst dann nur sehr langsam. Es ist doch sicherlich von größter Bedeutung, dass diese Dokumente überbracht werden? Wie lange habt Ihr Zeit, um sie zuzustellen?«
Nun endlich sickerte doch etwas Misstrauen durch das Opium hindurch, das Sólmundrs Gehirn vernebelte. Ganz langsam verhärtete sich seine Miene, während er Razi eingehend musterte. Razi allerdings hielt seinem Blick stand, die dunklen Augen blieben unerschütterlich auf Sólmundr gerichtet.
»Wer seid Ihr, Tabiyb?«, fragte Sólmundr ihn ruhig. »Warum Ihr stellt all diese Fragen über Papiere?«
»Ich bin Euer Arzt, Sól«, antwortete Razi. »Ich möchte nicht, dass Ihr auf ein Pferd steigt und sich am Ende Eure Eingeweide über den Sattel ergießen. Diese Naht wird einem harten Ritt nicht standhalten. Selbst wenn Eure Leute Euch auf eine Trage binden, könnte ich nicht …«
»Das ist nicht Eure Sorge«, unterbrach ihn Sólmundr. »Sprecht nicht mehr davon, tá go maith ?«
Razi kniff die Lippen zusammen und senkte den Blick. Arglos gab Hallvor unterdessen Wynter Zeichen, dass sie etwas Wasser trinken solle. Wynter nahm das Angebot lächelnd
an, ihre Aufmerksamkeit war aber gänzlich auf das leise, eindringlich geführte Gespräch der Männer gerichtet.
»Wisst Ihr, was der Blutadler ist, Tabiyb?«, fragte Sólmundr.
Razis Augenlider flatterten beim Gedanken an diese schreckliche Tortur. Er nickte.
Mit zugeschnürter Kehle starrte Wynter Sólmundr an, sie konnte ihr Wasser nicht schlucken. Der Blutadler, du großer Gott.
»Mein Volk«, murmelte Sólmundr, »das machen sie mit Spionen, versteht Ihr? Blutadler. Ich würde nicht gern erleben, dass das geschieht mit Euch, Tabiyb.« Er sah Razi tief in die braunen Augen, und seine eherne Miene strafte den unbefangenen Tonfall Lügen. »Es ist keine schöne Art zu sterben.«
»Ich werde nicht mehr davon sprechen«, sagte Razi leise.
»Gut.« Sólmundr war zufrieden. »Das ist gut.«
Ein etwas unbehagliches Schweigen folgte, während dessen Hallvor fragend von einem zum anderen blickte.
Schließlich legte Sólmundr den Kopf in sein Kissen. »Spielt Ihr Schach, Tabiyb?«, fragte er. »Bestimmt. Bestimmt spielt Ihr sehr gut, ja?« Razi nickte, und Sólmundr zeigte sein einnehmendes Lächeln mit den Zahnlücken. »Aber nicht so gut wie ich, glaube ich«, sagte er. »Ich sage Hallvor, sie soll holen mein Brett, ja, Tabiyb? Und wir spielen. Wir spielen zusammen, Ihr und ich … und Eure kleine Schwester, sie bleibt und sieht uns zu, ja?«
Sólmundr drehte ihr den Kopf zu. Obwohl er erschöpft war und sich sein Blick immer wieder trübte, fühlte sie sich dennoch wie ein Insekt in einem Glas, wenn er sie ansah. »Ich glaube, ist nicht gut«, erklärte er. »Es ist
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