Moorehawke 02 - Geisterpfade
füllte. Úlfnaor wartete mit herunterhängenden Armen, den Kopf gebeugt, die Miene im Schatten verborgen. Schier endlos, so kam es Wynter vor, waren nur das Plätschern des Blutes auf Metall, das Prasseln der Fackeln und das Rascheln unsichtbarer Flügel in den Wipfeln zu hören. Dann verebbte der Blutstrom allmählich zu einem Rinnsal und dann zu einer unsteten Abfolge von schweren Tropfen. Und dann versiegte er.
Die Trommel schlug noch ein einziges Mal.
Embla schwankte leicht, und Ashkrs Rückgrat hatte etwas von seiner Starre eingebüßt, doch abgesehen davon bewahrten sie ihre vornehme und kühle Haltung. Christopher und Wari drehten sich um und boten die Schalen mit dem Blut dar. Endlich erhaschte Wynter einen flüchtigen Blick auf Christophers Miene; sie war so leer und ohne Gefühlsregung wie eine Totenmaske.
Nicht wirklich , dachte sie abermals. Nicht wirklich . Sie betrachtete den Halbkreis aufmerksamer Gesichter, ihre tiefe Ernsthaftigkeit, und legte sich die lehmverschmierte Hand auf den Mund. Nicht wirklich .
Úlfnaor tauchte die Hand in Christophers Schale, drehte sich um und strich einen Streifen Blut auf Hallvors Stirn. Sie lächelte und schloss die Augen. Úlfnaor murmelte eine Frage. Hallvor nickte, und der Aoire bemalte ihren Mund.
Leise betend leckte sich Hallvor die glänzende Farbe von den Lippen.
Erneut tauchte Úlfnaor seine Finger ein, und dieses Mal zeichnete er Christophers Stirn, zog einen roten Streifen vom Haaransatz bis zwischen die dunklen Augenbrauen. Der Aoire hielt inne, die triefenden Fingerspitzen über Christophers Lippen schwebend. Erneut stellte er leise die Frage. Ein winziger Moment des Zögerns, ein kaum merkliches Straffen der Lippen – dann nickte Christopher, und Wynter musste sich ein angewidertes Aufstöhnen verbeißen, als Úlfnaor Christophers Mund mit Blut bestrich.
Schließlich vollzog Úlfnaor den Ritus auch an Wari, und Wynter beobachtete unterdessen Christopher. Seine Lippen zitterten, sein Mund glänzte hellrot im Fackellicht. Ein großer Tropfen Blut formte sich, erbebte und fiel herab.
Nun stellten sich die Merroner in einer Reihe an, um sich ebenfalls kennzeichnen zu lassen, und Úlfnaors Schatten verdunkelte Christophers bleiches Gesicht, als der Aoire die Hand in die Kupferschale tauchte. Unmittelbar bevor er sich abwandte, hob Úlfnaor die dunklen Augen. Wynter sah den Schreck in seiner Miene, als er Christophers immer noch triefenden Mund bemerkte. Christopher sah ihm geradewegs in die Augen. Úlfnaor verharrte nur einen winzigen Augenblick; dann, Christopher durch seinen eigenen Körper von den anderen abschirmend, hob er die Hand und wischte ihm mit dem Daumenballen unauffällig den Mund sauber.
Erleichtert sanken Christophers Lider herab, und Wynter musste kurz die Stirn auf den Boden legen, um die Übelkeit zurückzudrängen.
Einer nach dem anderen traten die Merroner vor und ließen sich das Blut der Caoirigh auf Stirn und Zunge streichen. Ashkr, Embla, Wari und Christopher blieben unbewegt,
der Schein der Fackeln kroch über ihre Gesichter. Etwas abseits stand Hallvor, die dunklen Schlingen wanden sich wie ein stummes Versprechen um ihre Arme.
Als alle Merroner gesalbt waren, nahm die Heilerin die leere Schale aus Christophers Händen und trug sie in die schwarzen Tiefen des Scheiterhaufens. Úlfnaor nahm nun die Schale mit Emblas Blut und führte sein Volk um die Lichtung herum. Im Gehen sprengte er dunkle, schimmernde Tropfen vor sich her, salbte den Boden, wie er es mit seinen Leuten getan hatte, mit dem Lebenssaft ihrer verehrten, ihrer innig geliebten Caoirigh Beo .
Sobald sich die Menge in Bewegung gesetzt hatte, wandten Christopher und Wari ihre Aufmerksamkeit den Zwillingen zu. Wari nahm ein Stück Tuch von seinem Gürtel und drückte es auf Emblas Arm. Er raunte ihr etwas zu, und sie nickte, das Gesicht leicht zur Seite gewandt, so dass Wynter ihre vollkommenen Wangenknochen erkennen konnte, ein Aufblitzen ihres Mundes. Christopher beugte Ashkrs Arm um ein ähnliches Stoffstück. Er sah zu dem großen Mann auf, doch sie sprachen nicht.
Die Prozession kam zurück an den Ausgangspunkt. Immer noch verspritzte Úlfnaor helle Blutstropfen links und rechts seines Wegs. Die Trommel schlug ihren bedächtigen, dumpfen Takt. Andächtig verteilten sich die Merroner zu beiden Seiten des Scheiterhaufens, und Úlfnaor verschwand mit der Schale in den Händen in seiner finsteren, wartenden Mitte.
In der folgenden Stille sagte Ashkr etwas,
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