Moorehawke 02 - Geisterpfade
legte, nutzte Christopher die Gelegenheit, sein Hemd höher zu schieben und die Binden beiseite zu zupfen. Nun trat auch Wynter näher, Razi und Úlfnaor neben sich. Sie hörte Hallvor einen ehrfürchtigen Ausruf ausstoßen, ein staunendes Murmeln wogte von Merroner zu Merroner.
Christopher strich mit den Fingern über Sólmundrs Bauch – da war keine Spur mehr von der Wunde, keine Entzündung,
nicht einmal der kleinste Kratzer war noch erkennbar. Nur das alte, verschlungene Geflecht aus Narben und Peitschenstriemen aus Sólmundrs Sklavenjahren zeichnete die blasse Haut des Mannes.
Christopher breitete die vernarbten Finger über der Stelle aus, an der Sólmundr von Razi aufgeschnitten worden war. »Er hat Euch gerettet«, sagte er.
Sólmundr ließ die Hände herabfallen und schlug mit dem Hinterkopf gegen den Baumstamm. Mutlos starrte er in das Astwerk über sich.
Christopher aber sah ihn eindringlich an. »Er hat Euch gerettet«, wiederholte er und rüttelte den verzweifelten Sólmundr an den Schultern, bis der Krieger ihn endlich anblickte. »Ihr werdet leben, Sól.« Strahlend grinste er in Sólmundrs tränenüberströmtes Gesicht. »Ashkr hat Euch gerettet . Ihr werdet leben.«
Ein neuer Aufbruch
I ch hab keinen Hunger.«
»Ihr steht in meiner Schuld«, sagte Christopher fröhlich, »und deshalb müsst Ihr tun, was ich sage. Ich befehle Euch zu essen.«
Sólmundr bedachte Christopher mit einem vernichtenden Blick, riss ihm den ledrigen Streifen Rehfleisch aus der Hand und wandte sich wieder dem Bemalen seines Pferdes zu. »Einen Mann wie Euch habe ich schon mal gekannt«, murmelte er finster, steckte sich das getrocknete Stückchen Fleisch in den Mundwinkel und tauchte den Pinsel in eine Schale blauer Farbe. »Er stand am Bug der Galeere und hatte eine Peitsche in der Hand.«
Christopher, der schon wieder auf dem Weg zurück zu seiner Seite des Lagers war, grinste und machte eine wegwerfende Geste über die Schulter.
»Ich habe zerquetscht seinen Schädel mit der Kette meiner Fußfessel!«, rief Sólmundr, während er sorgfältig den Umriss des Bären nachzog, der mit aufgerissenem Maul auf der Flanke seines Pferdes prangte.
»Ja, ja«, lachte Christopher. »Ihr seid eine hitzige, gefährliche Bestie. Ich zittere vor Angst.«
Als sich Christopher hinter sie stellte, lächelte Wynter. Sie zog gerade Ozkars Sattelgurt fest, während Christopher ihr
die Arme um die Taille schlang und die Nase in ihren Hals bohrte.
»Was ist mit dir, Hohe Protektorin?«, murmelte er, neckisch an ihrem Ohr knabbernd. »Hast du Hunger?«
»Lass mich gefälligst los«, sagte sie. »Du Wüstling.«
»Mmm«, pflichtete er ihr bei. »Erstaunlich, wie zwei Nächte erholsamen Schlafes den Appetit eines Mannes wiederherstellen können.« Er zog sie an sich und liebkoste ihren Nacken.
Wynter knuffte ihn zwischen die Rippen, und Christopher ließ schmunzelnd von ihr ab und stellte sich neben sie, den Arm um ihre Hüfte gelegt. Er folgte ihrem Blick, und beide betrachteten die Lichtung.
»Ich fürchte, wir sind einen Hauch zu schlicht gekleidet«, bemerkte Wynter.
Wohl wahr – die Merroner waren geschrubbt und gestriegelt und herausgeputzt wie nie zuvor. Sie trugen förmliches blasses Grün, und bei jeder Bewegung blitzte Silberschmuck auf. Sie hatten außerdem ihre Pferde geschmückt, die Felle frisch bemalt und das prächtige Zaumzeug poliert, bis es glänzte. Selbst die langbeinigen Kriegshunde trugen silbernen Zierrat, ihre Halsbänder und die Reife um die Vorderpfoten schimmerten in der Sonne.
Christopher deutete mit dem Kopf auf Razi, der gerade seine Besprechung mit Úlfnaor beendet hatte. »Sieh nur, unsere dunkelhäutige Perle«, sagte er. »Ich glaube fast, wir werden ihn wieder Eure Hoheit nennen müssen.«
Wynter beäugte ihren Freund, während er auf sie zukam. In Gedanken versunken und sich der prüfenden Blicke seiner Freunde nicht bewusst, faltete Razi seine Landkarten zusammen und verstaute sie in dem Kästchen. Seine Stiefel glänzten wie Spiegel, und er hatte sein schlichtes, dunkles Reisehemd gegen einen vornehm geschnittenen Mantel in tiefem
Scharlachrot getauscht. Zum ersten Mal seit Wochen war er glatt rasiert, und ohne seinen lockigen, piratenhaften Bart wirkte er, fand Wynter, plötzlich viel jünger und unendlich viel herrschaftlicher als zuvor.
»Wenn wir ihn wirklich Eure Hoheit nennen«, stellte sie leise fest, »könnte das seinen Tod bedeuten.«
Christopher umschlang sie fester. »Nicht,
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