Moorehawke 02 - Geisterpfade
anderer Schattenreiter ergriff das Wort. »Mir geht es genauso. Es ist doch unnatürlich, sich so auf den Pfad zu beschränken. Wir sollten hier frei umherstreifen, um uns wie Wölfe zu benehmen. Es ist öde, nur an den Schafen vorbeizuwandern und sie nicht zu behelligen.«
Gérard schüttelte den Kopf, wenn auch der Blick, den er seinem blonden Gefährten zuwarf, eine gewisse Erheiterung zeigte. Gemeinsam drehten sie sich mit brüderlicher Nachsicht
zu ihren Männern um. »Wir sind auf keinem Wolfszug, Bruder, das weißt du. Wir haben hier etwas zu erledigen.«
Allgemeines Grummeln setzte ein. Ein großer, arabisch aussehender Mann murmelte: »Wir haben schon in Algier immer genug zu erledigen !«
Jetzt hob Gérard eine Hand. »Immer mit der Ruhe, immer mit der Ruhe«, lachte er, reckte den Kopf und stieß einen leisen Pfiff aus.
Binnen kurzem kamen die letzten vier Reiter aus dem Gebüsch herangeschlichen, und der Kreis der Wölfe dehnte sich aus, um sie aufzunehmen. Gérard versetzte seinem Sklaven einen sanften Tritt zwischen die Schulterblätter, und der junge Mann rannte unverzüglich mit einem Wasserschlauch los. Alle warteten, bis die Neuankömmlinge ihren Durst gelöscht hatten und der Sklave wieder an seinem Platz stand.
»Wir schlagen unser Lager auf«, erklärte der Blonde. Als er sein Pferd wendete, lief der Sklave so gewandt neben ihm her, dass er kaum je seinen Platz an der Schulter des Tiers einbüßte. »Und wir losen vier aus, verstanden? Nur vier.«
Ein Gemisch aus Aufregung und Unzufriedenheit machte sich unter den Wölfen breit.
»Beruhigt euch gefälligst, ihr undankbaren Hundesöhne!«, fauchte Gérard. »Wir sind verdammt großzügig. Wir alle müssen uns Vater gegenüber verantworten, wenn euer ungebärdiges Wesen das alles hier verdirbt.« Seine Gereiztheit schüchterte die Männer sichtlich ein; ihr Widerspruch erstarb.
Mit einer knappen Geste entließ der Blonde sie, und die acht Schattenreiter neigten die Köpfe und verschwanden wieder zwischen den Bäumen.
»Sind wir bei der Auslosung auch dabei?«, fragte einer der anderen Anführerwölfe. Es war der mit dem roten Sattel und den schwarzen Reitstiefeln, ein vierschrötiger Kerl mit schmalen, grausamen Augen.
»Sei nicht albern, Jean«, entgegnete der vierte Mann. Er hatte eine weiche Stimme und langes braunes Haar und hatte bisher nur schweigend, mit dem Rücken zu seinen Gefährten, den Sonnenuntergang betrachtet. Wynter stellte fest, dass er derjenige mit den purpurnen Lederstulpen war. »Du bist kein Welpe mehr«, sagte er. »Merk dir das.«
Der andere Mann zog eine Grimasse, senkte aber ehrerbietig den Kopf.
»Verzeih, David«, sagte er.
David! , dachte Wynter.
Gemächlich wandte David halb den Kopf und sagte: »Ihr dürft trinken.«
Sofort stürzten sich die beiden Sklaven auf die Wasserschläuche und tranken, als hätten sie gerade eine Wüste durchquert. Wynter war überrascht, wie durstig sie offenbar waren, wie hastig ihre Bewegungen im Gegensatz zu ihrer vorherigen Ruhe.
»Genug«, murmelte David.
Sofort hörten sie keuchend und zögerlich auf zu trinken, und Wynter begriff, dass sie versucht hatten, so viel Wasser wie möglich aufzunehmen. Gehorsam verschlossen sie die Schläuche und verstauten sie.
»Aufsteigen«, befahl David, und die beiden jungen Männer kehrten unverzüglich zu ihren Pferden zurück.
Wie gebannt folgten Wynters Blicke dem Wolf, als der sein Pferd wendete. Das also war David, der Anführer dieses Rudels von Andrés Wölfen – ebenjenes Rudels, von dem Razi mit zusammengebissenen Zähnen gesprochen hatte.
David Le Garou war schlank und groß, seine Schultern hatten etwas Müdes an sich. Als er sich umdrehte, lag im Licht der untergehenden Sonne ein Schatten über seinem Gesicht. Nun trieb er sein Pferd an, und die anderen formierten sich um ihn herum. Er duckte sich unter den Bäumen hindurch und führte seine Männer in den Wald, dicht gefolgt von den Packmulis. Schweigend warteten die beiden Sklaven im Sattel, bis sie an der Reihe waren, dann trotteten auch sie los und wurden von der Dunkelheit unter den Bäumen verschluckt.
Einen Moment lang herrschte Stille. Schließlich rutschte Christopher vorwärts aus dem Versteck, und Razi und Wynter taten es ihm nach.
Sie standen an der Kante der Schlucht und blickten hinab. Unter ihnen floss, umgeben von Wald, der träge, breite Fluss, glitzernd im gewittrigen Licht des Abendrots. Wynter suchte die Bäume ab, doch es war kein
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