Moorehawke 02 - Geisterpfade
Passagiere der Fähre kamen, hoben sie die Hände und riefen sie auf Merronisch an.
Es folgte eine förmliche Begrüßung, und den Herren der sechs Wolfshunde wurde viel Achtung gezollt. Die großen Tiere flankierten ihre Besitzer wie aufmerksame Soldaten, beäugten jeden, der sich näherte, und senkten die gefletschte Oberlippe erst, wenn die Hand ihres Herrn sie sanft berührte. Das weiche Abendlicht wurde von Ringen und Halsreifen und Broschen zurückgeworfen und schimmerte auf den fein gefertigten Schmiedearbeiten der Hundehalsbänder und Pferdezäume. Solch kostbare Kleidung, solch edle Tiere – das hier waren Abgesandte, daran konnte es keinen Zweifel geben.
So, so, Albi , dachte Wynter. Du hast dir also die Merroner an den Tisch geladen . Aber ihr fiel einfach kein Grund dafür ein. Die Merroner schworen keinem König Gefolgstreue, beugten das Knie keinem Adel außer ihrem eigenen. Darüber hinaus waren sie ein Nordvolk und zogen niemals gen Süden. Warum nur waren sie hier?
Sie warf einen schnellen Blick auf Christopher, der gebannt beobachtete, wie die Merroner ihre Pferde vom Steg wegführten. Er wirkte ebenso verwundert wie Wynter selbst. Tief in Gedanken versunken sah er seinen Leuten nach, bis sie in den Stallungen des Gasthofs verschwunden waren.
Merroner
J etzt passt mal gut auf.« Christopher zog sich das Hemd über den Kopf, während er von der Scheune her auf sie zulief, und krempelte die Ärmel seines Unterhemds bis zur Schulter hoch, um seine Schlangenreife zu entblößen. »Das sind Bärenmerroner. Starr, treu und unerschütterlich den alten Sitten verhaftet. Sehr dünkelhaft, was Etikette betrifft. Wäret ihr coimhthíoch , würden sie euch gar nicht beachten, und ihr könntet euch aufführen, wie ihr wolltet, aber ihr seid keine Fremden. Ihr gehört zu mir, und deshalb werden sie gewisse Manieren von euch erwarten.«
Wynter und Razi wechselten einen besorgten Blick. Unterdessen war Christopher eifrig damit beschäftigt, seinen Zopf zu lösen und weiterhin in rascher Folge Anweisungen zu geben.
»Ihr dürft keine verborgenen Waffen tragen.« Er bückte sich, zog seinen Dolch aus dem Stiefel und steckte ihn in seinen Gürtel. »Wenn ihr irgendwelchen Schmuck habt, ob nun Ringe, Anhänger, Armreife, dann müsst ihr ihn offen sichtbar tragen – sonst ließe das darauf schließen, dass ihr der Gesellschaft nicht über den Weg traut.« Er griff an Wynters Hinterkopf und löste auch ihr Haar, kämmte es mit den Fingern durch und schüttelte es um ihre Schultern. Sie sah zu ihm auf, und er schenkte ihr ein kurzes, zärtliches Lächeln.
»Hübsch!«, flüsterte er.
Dann trat er einen Schritt zurück und musterte sie und Razi. Er war zappelig wie ein ganzer Bienenkorb und glühte vor Aufregung. Da seine beiden Freunde ihn nur ausdruckslos ansahen, breitete er die Hände aus. »Schmuck?«, wiederholte er. »Verborgene Waffen?«
Wynter zog ihr Zunftmedaillon aus dem Ausschnitt und legte es offen auf ihr Hemd. Razi sah an sich herab, als hätte er Sorge, etwas an seiner Kleidung könnte ihn überraschen. »Äh«, machte er unsicher.
Belustigt verdrehte Christopher die Augen. Dann klatschte er in die Hände und dachte kurz nach. »Mal sehen, mal sehen«, sagte er.
Sie hatten sich entschlossen, den Gasthof ganz offen zu betreten. Während Wynter und Razi den Stalljungen mit Anweisungen für die Versorgung ihrer Pferde ablenkten, hatte sich Christopher die Stammeskennzeichnungen der merronischen Reittiere angesehen. Nun standen sie dicht zusammen im Hof neben der Hintertür, während drinnen allmählich Lärm anschwoll. Es klang verdächtig nach einem Fest.
Als man hörte, wie jemand im Gasthaus eine Fidel zu stimmen begann, musste Christopher unwillkürlich grinsen.
»Also gut, Garron!«, ermahnte er sich. »Was müssen diese Leute erfahren? Genau! Nun gut. Hört mal, ich weiß selbst nicht genau, ob ich hier willkommen sein werde. Es könnte also passieren, dass sie uns die kalte Schulter zeigen. Sollte uns aber gestattet werden zu bleiben …«
In diesem Moment brach in der Schenke dröhnender Jubel aus, und auf Fidel, Flöte und Trommel wurde eine stürmische Melodie angestimmt. Man hörte Gebrüll und Gejauchze, und Christophers bemühte Ernsthaftigkeit zerbröselte zu
einem breiten Grinsen. Wynter lächelte liebevoll, und auch Razi freute sich über die sichtliche Begeisterung Christophers.
Er senkte den Kopf, rieb sich mit den Händen über das Gesicht und blickte sie dann wieder
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